Die Brüder Karamasow
ganze Schuld auf ihn zu wälzen, und das ihm mitten ins Gesicht«.
»Warten Sie mal«, sagte er endlich mit schwacher Stimme, zog sein linkes Bein unter dem Tisch hervor und begann die Hose aufzukrempeln. Das Bein steckte in einem langen, weißen Strumpf; am Fuß saß ein Pantoffel. Ohne jede Eile band Smerdjakow das Strumpfband ab und fuhr mit den Fingern tief in den Strumpf hinein. Iwan Fjodorowitsch sah ihm zu und begann auf einmal vor panischer Angst zu zittern.
»Du Verrückter!« schrie er und sprang von seinem Platz auf. Er taumelte jedoch zurück, so daß er mit dem Rücken gegen die Wand stieß, und blieb nun sozusagen an der Wand kleben, an der er sich in seiner ganzen Länge aufrichtete. Entsetzt starrte er Smerdjakow an.
Dieser wühlte, ohne sich durch Iwan Fjodorowitschs Schreck stören zu lassen, immer noch in seinem Strumpf herum, als bemühte er sich, darin etwas mit den Fingern zu fassen und herauszuziehen. Endlich hatte er es gefaßt und zog es heraus. Iwan Fjodorowitsch sah, daß es irgendwelche Papiere waren oder vielmehr ein Päckchen Papiere. Smerdjakow zog es heraus und legte es auf den Tisch.
»Da ist es!« sagte er leise.
»Was?« fragte Iwan zitternd.
»Sehen Sie doch selber nach!« sagte Smerdjakow ebenso leise.
Iwan trat an den Tisch, nahm das Päckchen und begann es auseinanderzufalten. Auf einmal zog er jedoch die Finger zurück, als hätte er ein ekelhaftes Reptil berührt.
»Die Finger zittern Ihnen ja immer noch krampfhaft«, bemerkte Smerdjakow und faltete selbst den Umschlag auseinander. Es kamen drei Päckchen regenbogenfarbener Hundertrubelscheine zum Vorschein.
»Hier sind sie alle, die ganzen dreitausend Rubel; Sie brauchen nicht nachzuzählen. Nehmen, Sie sie!« forderte er Iwan auf. Dieser ließ sich auf den Stuhl sinken; er war bleich wie Leinwand.
»Du hast mich erschreckt mit diesem Strumpf ...«, sagte er mit einem sonderbaren Lächeln.
»Haben Sie es wirklich bis jetzt nicht gewußt, wirklich nicht?« fragte Smerdjakow noch einmal.
»Nein, ich habe es nicht gewußt. Ich habe immer an Dmitri gedacht. Bruder! Bruder!« Er faßte sich mit beiden Händen an den Kopf! »Sag, hast du den Mord allein begangen? Ohne meinen Bruder oder mit meinem Bruder zusammen?«
»Nur mit Ihnen zusammen. Mit Ihnen zusammen habe ich den Mord begangen! Dmitri Fjodorowitsch ist ganz unschuldig.«
»Gut, gut ... Zu mir später! Warum zittere ich nur am ganzen Körper? Ich kann kein Wort herausbringen.«
»Damals waren Sie wer weiß wie kühn und sagten: ›Alles ist erlaubt!‹ Und was haben Sie jetzt für einen Schreck bekommen!« sagte Smerdjakow verwundert! »Wollen Sie nicht ein Glas Limonade? Ich werde sofort welche bestellen. Die erfrischt sehr. Nur müssen wir das hier vorher zudecken.«
Er deutete wieder mit dem Kopf auf die Päckchen. Er wollte aufstehen, um aus der Tür Marja Kondratjewna zu rufen, damit sie Limonade brächte, suchte jedoch vorher etwas, womit er das Geld zudecken konnte.
Er zog zuerst sein Taschentuch heraus; aber das war wieder ganz vollgeschneuzt. Deshalb nahm er das dicke, gelbe Buch vom Tisch, das Iwan beim Eintritt bemerkt hatte, und deckte damit das Geld zu. Der Titel des Buches lautete: »Reden unseres heiligen Vaters Isaak Sirin«; Iwan Fjodorowitsch las ihn mechanisch.
»Ich will keine Limonade«, sagte er! »Zu mir später! Setz dich hin und erzähle! Wie hast du das alles ausgeführt? Sag mir alles ...«
»Sie sollten wenigstens den Überzieher ausziehen, sonst werden Sie noch ganz in Schweiß geraten.«
Iwan Fjodorowitsch riß sich, als käme ihm dieser Gedanke erst jetzt, den Überzieher vom Körper und warf ihn auf die Bank.
»So rede doch, bitte! Rede!«
Er schien ganz ruhig geworden zu sein. Er erwartete mit Bestimmtheit, daß Smerdjakow jetzt »alles« sagte.
»Wie ich das alles ausgeführt habe?« begann Smerdjakow mit einem Seufzer! »Auf die allernatürlichste Weise habe ich es ausgeführt, ganz nach Ihren Worten von damals ...«
»Zu meinen Worten später!« unterbrach ihn Iwan wieder, aber er schrie nicht mehr wie vorher, sondern sprach die Worte fest und bestimmt aus und schien sich wieder ganz in der Gewalt zu haben! »Erzähle ganz genau, wie du es ausgeführt hast. Alles der Reihe nach! Laß nichts aus! Die Einzelheiten sind das Wichtigste, die Einzelheiten. Ich bitte dich darum.«
»Als Sie weggefahren waren, da fiel ich in den Keller ...«
»In einem richtigen Anfall, oder hast du simuliert?«
»Selbstverständlich
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