Die Brüder Karamasow
sehen!« antwortete Iwan.
»Das ist unmöglich. Sie sind ein sehr kluger Mensch. Sie lieben das Geld, das weiß ich. Sie lieben auch eine angesehene, geachtete Stellung, denn Sie sind stolz. Weibliche Reize lieben Sie maßlos. Und am allermeisten lieben Sie, in ruhigem Behagen zu leben und sich vor niemand zu verbeugen – das am allermeisten. Sie werden sich Ihr Leben doch nicht dadurch für immer ruinieren wollen, daß Sie vor Gericht so eine Schande auf sich nehmen. Sie sind ein Mensch wie Fjodor Pawlowitsch, von allen seinen Kindern sind Sie am meisten nach ihm geartet: Sie haben dieselbe Seele wie er.«
»Du bist nicht dumm«, sagte Iwan, von diesem Urteil offenbar betroffen; das Blut war ihm ins Gesicht gestiegen! »Ich habe dich früher für dumm gehalten. Du bist ein Mensch, den man ernst nehmen muß!« bemerkte er, indem er Smerdjakow gleichsam mit neuen Augen ansah.
»Infolge Ihres Stolzes haben Sie mich für dumm gehalten ... Nehmen Sie doch das Geld!«
Iwan nahm alle drei Päckchen und steckte sie in die Tasche, ohne sie irgendwie einzuwickeln.
»Morgen werde ich sie vor Gericht vorzeigen«, sagte er.
»Niemand wird Ihnen glauben. Sie und die Ihrigen haben jetzt eine Menge Geld – man wird meinen, Sie hätten es aus der Schatulle genommen.«
Iwan erhob sich von seinem Platz.
»Ich wiederhole: Wenn ich dich nicht totgeschlagen habe, so einzig und allein deshalb, weil ich dich morgen brauche! Denk daran, vergiß es nicht!«
»Nun gut, schlagen Sie mich tot! Schlagen Sie mich jetzt tot!« sagte Smerdjakow auf einmal mit seltsamer Betonung und seltsamem Blick! »Auch das werden Sie nicht wagen«, fügte er bitter lächelnd hinzu! »Nichts wagen Sie, und dabei waren Sie doch früher ein frischer, kecker Mensch!«
»Bis morgen!« rief Iwan und wollte gehen.
»Warten Sie ... Zeigen Sie mir das Geld noch einmal!«
Iwan nahm die Banknoten heraus und zeigte sie ihm. Smerdjakow betrachtete sie etwa zehn Sekunden lang.
»So, nun gehen Sie!« sagte er, wieder mit einer abwinkenden Handbewegung! »Iwan Fjodorowitsch!« rief er ihm dann plötzlich wieder nach.
»Was willst du?« fragte Iwan und drehte sich nochmals um.
»Leben Sie wohl!«
»Bis morgen!« rief Iwan wieder und verließ die Stube und das Haus. Der Schneesturm dauerte immer noch an. Die ersten Schritte ging er energisch und rüstig; dann fing er auf einmal an zu taumeln. ›Das ist etwas Physisches!‹ dachte er lächelnd. Eine Art Freude überkam jetzt seine Seele. Er fühlte eine grenzenlose Festigkeit in sich: Zu Ende war das Schwanken, das ihn die ganze letzte Zeit so furchtbar gequält hatte! Sein Entschluß war gefaßt – ›und er wird sich nicht mehr ändern!‹ dachte er beglückt. In diesem Augenblick strauchelte er plötzlich und wäre beinahe hingefallen. Stehenbleibend erkannte er zu seinen Füßen den Bauern, den er vorhin umgestoßen hatte und der immer noch ohne Besinnung regungslos auf demselben Fleck lag. Der Schneesturm hatte ihm schon fast das ganze Gesicht zugeschüttet. Iwan faßte ihn und schleppte ihn ein Ende mit sich. Da er auf der rechten Seite in einem Häuschen Licht sah, ging er hin und klopfte an den Fensterladen; dann bat er den Kleinbürger, dem das Häuschen gehörte, er möchte ihm behilflich sein, den Bauern zur Polizeiwache zu schleppen, wobei er ihm sogleich versprach, ihm dafür drei Rubel zu geben. Der Kleinbürger machte sich fertig und kam heraus. Ich werde nicht eingehend erzählen, wie es Iwan Fjodorowitsch gelang, sein Ziel zu erreichen und den Bauern auf der Polizeiwache unterzubringen, mit der Abmachung, daß er sogleich ärztlich untersucht werden sollte; auch hier spendete er wieder großzügig Geld »für die entstehenden Unkosten«. Ich will nur sagen, daß die Sache beinahe eine ganze Stunde in Anspruch nahm. Doch Iwan Fjodorowitsch war sehr zufrieden. Seine Gedanken waren in Bewegung gekommen und arbeiteten. ›Wenn mein Entschluß für morgen nicht so fest wäre‹, dachte er plötzlich und hatte ein angenehmes Gefühl dabei, ›hätte ich nicht eine ganze Stunde darauf verwandt, den Bauern unterzubringen, sondern wäre an ihm vorbeigegangen und hätte mich nicht darum gekümmert, daß er erfror ... Oh, ich bin sehr wohl imstande, mich selbst zu beobachten!‹ dachte er in demselben Moment mit noch größerer Freude. ›Und die glaubten schon, ich verliere den Verstand!‹ Als er an seinem Haus angelangt war, blieb er auf einmal stehen und fragte sich: ›Muß ich nicht jetzt gleich zum
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