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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Diesmal will ich ehrlich verfahren und es dir erklären. Paß auf. Im Schlaf – und besonders bei Alpdrücken, zum Beispiel infolge einer Magenverstimmung oder aus sonst einem Grund – träumt der Mensch manchmal so kunstvolle Dinge, so eine komplizierte, reale Wirklichkeit, Ereignisse oder sogar eine listig zusammengeknüpfte Welt von Ereignissen, mit unerwarteten Details, angefangen von euren höchsten Offenbarungen bis hinab zum letzten Knopf am Vorhemd, daß selbst ein Leo Tolstoi es nicht so genau schildern könnte und dabei träumen das manchmal Leute, die gar nicht mit großer Phantasie begabt, sondern ganz gewöhnliche Leute sind, Beamte, Feuilletonschreiber, Popen ... Manches ist geradezu ein Rätsel. So hat mir sogar ein Minister gestanden, daß ihm seine besten Ideen immer im Schlaf kommen. Na, und so ist es auch jetzt. Ich bin zwar nur deine Halluzination, aber ich rede, wie das auch im Traum der Fall ist, originelle Dinge, die dir bisher nicht in den Kopf gekommen sind, so daß ich nicht mehr bloß deine Gedanken wiederhole. Und dabei bin ich doch nur dein Traumgebilde, weiter nichts.«
    »Du lügst. Deine Absicht ist gerade, mir einzureden, daß du ein selbständiges Wesen bist und nicht mein Traumgebilde – und da behauptest du jetzt selber, du wärst das letztere.«
    »Mein Freund, heute habe ich eine besondere Methode angewandt, ich werde dir das nachher erläutern ... Warte mal, wo war ich stehengeblieben? Ja, wie ich mich damals erkältet hatte, aber nicht bei euch, sondern noch dort ...«
    »Wo dort? Sag mal, wirst du noch lange bei mir bleiben? Kannst du denn gar nicht verschwinden?« rief Iwan fast verzweifelt. Er hörte auf umherzugehen, setzte sich auf das Sofa, stützte wieder die Ellenbogen auf den Tisch und preßte den Kopf mit den Händen zusammen. Er riß sich das nasse Handtuch ab und warf es ärgerlich von sich; es hatte offenbar nicht geholfen.
    »Dein Nervensystem ist zerrüttet«, bemerkte der Gentleman ungeniert und lässig, doch durchaus liebenswürdig! »Du ärgerst dich über mich, weil ich mich habe erkälten können, und dabei hat es sich doch auf die natürlichste Weise von der Welt zugetragen. Ich wollte mich damals eilig zu einer diplomatischen Soiree bei einer hochgestellten Petersburger Dame begeben, die den Ehrgeiz hatte, Frau Minister zu werden. Na, ich hatte schon Frack, weiße Halsbinde und Handschuhe an, befand mich aber noch Gott weiß wo und mußte, um zu euch auf die Erde zu kommen, noch den Weltenraum durchfliegen. Gewiß, das dauert nur einen Augenblick, obwohl auch ein Lichtstrahl von der Sonne ganze acht Minuten braucht – aber stell dir das vor: Ich in Frack und ausgeschnittener Weste! Geister erfrieren zwar nicht, doch da ich mich bereits verkörpert hatte ... Kurz, ich war leichtsinnig und machte mich auf den Weg. Aber dort im Weltenraum, im Äther, in diesem ›Wasser über der Feste‹, da ist so eine Kälte, was sage ich, Kälte! Kälte kann man das schon nicht mehr nennen. Kannst du dir das vorstellen – hundertfünfzig Grad unter Null! Es gibt da ein bekanntes Späßchen der Bauernmädchen: Bei dreißig Grad Kälte fordern sie einen Unerfahrenen auf, an einem Beil zu lecken, die Zunge friert sofort an, und der Dumme reißt sich dann unter starkem Bluten die Haut ab. So ist das schon, wenn nur dreißig Grad sind; bei hundertfünfzig Grad braucht man, glaube ich, nur einen Finger an das Beil zu legen, und er ist wie weggeblasen ... Falls es dort ein Beil geben sollte ...«
    »Kann es denn dort ein Beil geben?« unterbrach ihn Iwan Fjodorowitsch zerstreut und angewidert.
    Er sträubte sich mit aller Kraft dagegen, seinen Fiebertraum für Wahrheit zu halten und endgültig ins Delirium zu geraten.
    »Ein Beil?« fragte der Gast erstaunt zurück.
    »Na ja, was wird da aus dem Beil?« schrie Iwan Fjodorowitsch in wütendem, hartnäckigem Eigensinn.
    »Was im Weltenraum aus einem Beil wird? Quelle idée! Wenn es weiter von der Erde weggerät, wird es, glaube ich, um die Erde herumfliegen, ohne selber zu wissen, weshalb, nach Art eines Trabanten. Die Astronomen werden Aufgang und Untergang des Beils berechnen, und Gatzuk wird es in seinen Taufkalender eintragen. Das ist alles.«
    »Du bist dumm, du bist schrecklich dumm!« sagte Iwan störrisch! »Lüg bitte etwas klüger, sonst werde ich nicht mehr zuhören. Du willst mich durch Realismus überrumpeln und mir einreden, daß du existierst. Ich will aber nicht glauben, daß du existierst! Und ich werde es

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