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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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heißt wieder nicht euren, sondern unseren Kaufmannsfrauen. Alles was es bei euch gibt, gibt es auch bei uns! Ich enthülle dir damit aus Freundschaft eines unserer Geheimnisse, obwohl das verboten ist. Diese Legende handelt vom Paradies. Es war einmal, wird erzählt, bei euch hier auf Erden so ein Denker und Philosoph, der ›alles verneinte. Gesetze, Gewissen und Glauben‹, vor allem aber das zukünftige Leben. Er starb und dachte, nun ginge es geradewegs in Finsternis und Tod hinein, doch da stand vor ihm – das zukünftige Leben. Er war darüber sehr erstaunt und ungehalten. ›Das widerspricht‹, sagte er, ›meinen Überzeugungen.‹ Dafür wurde er nun auch verurteilt ... Das heißt, entschuldige bitte, ich gebe ja nur wieder, was ich gehört habe, es ist eben nur eine Legende ... Siehst du, er wurde also dazu verurteilt, in der Finsternis eine Quadrillion Kilometer zu gehen, bei uns rechnet man ja jetzt auch nach Kilometern; und wenn er mit dieser Quadrillion fertig war, sollten ihm die Pforten des Paradieses geöffnet und ihm sollte alles verziehen werden ...«
    »Was gibt es denn in eurer Welt sonst noch für Qualen außer dieser Quadrillion?« unterbrach ihn Iwan mit einer seltsamen Lebhaftigkeit.
    »Was es sonst für Qualen gibt? Ach, frag lieber nicht danach! Früher war es damit noch einigermaßen leidlich bestellt, aber jetzt sind immer mehr die seelischen Qualen aufgekommen, die ›Gewissensbisse‹ und all dieser Quatsch. Das ist auch so eine Neuerung von euch, eine Folge der ›Milderung eurer Sitten‹. Na, und wer hat dabei profitiert? Profitiert haben nur die Gewissenlosen, denn was hat so einer für Gewissensbisse, wenn er überhaupt kein Gewissen hat? Gelitten haben dafür die anständigen Leute, bei denen sich noch Gewissen und Ehrgefühl erhalten haben ... Ja, so ist das mit Reformen auf unvorbereiteter Grundlage, zumal wenn sie eine Kopie fremder Einrichtungen sind: Es kommt weiter nichts als Schaden dabei heraus! Wir hätten lieber das gute alte Höllenfeuer behalten sollen ... Nun, dieser zu einer Quadrillion Kilometer Verurteilte stand ein Weilchen da, blickte vor sich hin und legte sich dann quer über den Weg. ›Ich werde nicht gehen‹, sagte er; ›aus Prinzip werde ich nicht gehen!‹ Nimm die Seele eines gebildeten russischen Atheisten und mische sie mit der Seele des Propheten Jonas, der drei Tage und drei Nächte im Bauch des Walfisches schmollte – da hast du den Charakter dieses Denkers, der sich quer über den Weg gelegt hatte.«
    »Worauf hatte er sich denn da gelegt?«
    »Na, es wird schon etwas dagewesen sein, worauf er liegen konnte. Machst du dich auch nicht darüber lustig?«
    »Ein famoser Kerl!« rief Iwan, noch immer mit derselben seltsamen Lebhaftigkeit. Er hörte jetzt mit überraschendem Interesse zu! »Nun weiter! Liegt er noch da?«
    »Das ist es ja eben, daß er nicht mehr daliegt. Er hat fast tausend Jahre dagelegen, dann stand er auf und fing an zu gehen.«
    »So ein Esel!« rief Iwan. Er lachte nervös, doch es machte den Eindruck, als dachte er angestrengt über etwas nach! »Ist es nicht ganz egal, ob er ewig daliegt oder eine Quadrillion Werst geht? Daran hat er ja wohl eine Billion Jahre zu gehen?«
    »Sogar viel mehr. Ich habe keinen Bleistift und kein Papier zur Hand, sonst ließe sich das ausrechnen. Aber er ist ja schon längst mit seiner Wanderung fertig, und eben da beginnt die Anekdote.«
    »Was? Mit seiner Wanderung fertig? Wo hat er denn die Billion Jahre hergenommen?«
    »Du denkst immer nur an unsere heutige Erde! Die heutige Erde hat sich ja selbst vielleicht billionenmal wiederholt; sie wurde altersschwach, vereiste, barst, fiel auseinander, zersetzte sich in ihre Elementarbestandteile, dann war sie wieder Wasser unter und über der Feste, dann wieder ein Komet, dann eine Sonne, dann wurde sie aus einer Sonne wieder eine Erde – diese Entwicklung hat sich vielleicht schon unzählige Male wiederholt, und immer auf dieselbe Weise, bis aufs Tüpfelchen. Eine geradezu unanständig langweilige Geschichte ...«
    »Nun, und was ist dann geschehen, als er mit seiner Wanderung fertig war?«
    »Sobald man ihm die Pforten des Paradieses geöffnet hatte und er eingetreten und noch nicht zwei Sekunden drin war, und zwar nach der Uhr, obgleich sich seine Uhr meiner Ansicht nach unterwegs längst in ihre Bestandteile hätte auflösen müssen, kurz, er war also noch nicht zwei Sekunden drin, da rief er, für diese zwei Sekunden könne man nicht nur eine

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