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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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gäbe es ja in der Welt nichts weiter als Hosiannarufe. Aber für das Leben reicht das bloße Hosiannarufen nicht aus; das Hosianna muß erst durch den Schmelzofen der anzweifelnden Prüfung hindurchgegangen sein‹ – na, und in dieser Art weiter. Ich mische mich übrigens in diese ganze Geschichte nicht ein; ich habe die Welt nicht geschaffen, ich trage nicht die Verantwortung dafür. Na, und da hat man irgendeinen Sündenbock herausgesucht, ihn gezwungen, in der ›Abteilung Kritik‹ zu schreiben – und so hat man Leben erzielt. Wir durchschauen diese Komödie. Ich zum Beispiel verlange ganz einfach und direkt meine Vernichtung. ›Nein‹, heißt es, ›lebe weiter, denn ohne dich würde alles aufhören. Wenn alles auf der Erde vernünftig wäre, würde sich nichts ereignen. Ohne dich würde es keine Ereignisse geben, es ist aber notwendig, daß es Ereignisse gibt!‹ So unterdrücke ich denn meinen Verdruß und tue meinen Dienst, damit es Ereignisse gibt, und schaffe auf Befehl Unvernünftiges. Die Menschen halten diese ganze Komödie für etwas Ernstes, trotz ihres unbestreitbaren Verstandes. Darin besteht halt ihre Tragödie. Sie leiden nun zwar, doch dafür leben sie ja auch. Sie haben ein wirkliches Leben, nicht nur ein eingebildetes – denn gerade im Leiden besteht das Leben. Ohne Leiden wäre das Leben ohne jeden Genuß; alles würde sich in ein einziges endloses Gebet verwandeln – das wäre gewiß fromm, aber auch ein bißchen langweilig. Na und ich? Ich leide, trotzdem lebe ich nicht. Ich bin das x in einer unbestimmten Gleichung. Ich bin ein Phantom des Lebens, ein Phantom, das alle Enden und Anfänge verloren und schließlich selbst vergessen hat, wie es sich nennen soll. Du lachst ... Nein, du lachst nicht, du ärgerst dich wieder. Du ärgerst dich in einem fort, du möchtest, daß alles nur Verstand ist. Doch ich wiederhole, ich würde dieses ganze überirdische Leben und alle Titel und Ehren dafür hingeben, wenn ich mich in einer siebenpudschweren Kaufmannsfrau verkörpern und dem lieben Gott Kerzen in der Kirche aufstellen könnte!«
    »Also glaubst auch du nicht mehr an Gott?« sagte Iwan, gehässig lächelnd.
    »Wie soll ich dir darauf antworten – falls du überhaupt im Ernst fragst ...«
    »Gibt es einen Gott oder nicht?« schrie Iwan wieder hartnäckig.
    »Ah, also du fragst im Ernst? Mein Täubchen, bei Gott, ich weiß es nicht. Da habe ich ein großes Wort ausgesprochen.«
    »Du weißt es nicht, und doch siehst du Gott? Nein, du bist kein selbständiges Wesen, du bist ich! Du bist ich und weiter nichts! Du bist ein Dreck, du bist meine Phantasie!«
    »Wenn es dir recht ist, wollen wir sagen: Ich gehöre derselben philosophischen Richtung an wie du – das wäre eine gerechte Ausdrucksweise. Je pense, donc je suis, das weiß ich bestimmt. Alles übrige jedoch, was um mich ist, alle diese Welten, Gott und sogar der Satan selbst – von alledem ist für mich nicht bewiesen, ob es selbständig existiert oder nur eine Emanation von mir ist, eine folgerichtige Entwicklung meines urewig und persönlich existierenden Ichs ... Ich breche lieber ab, weil du wahrscheinlich gleich aufspringen wirst, um mich zu prügeln.«
    »Du solltest lieber irgendeine Anekdote erzählen!« sagte Iwan gequält.
    »Eine Anekdote hätte ich schon, und sogar eine, die zu unserem Thema paßt, das heißt, es ist eigentlich keine Anekdote, sondern mehr so eine Legende. Du wirfst mir Unglauben vor, wenn du sagst: ›Du siehst, und dennoch glaubst du nicht.‹ Aber, mein Freund, es geht nicht nur mir so, bei uns sind jetzt alle ganz konfus geworden, und das infolge eurer Wissenschaften. Solange es noch die Atome gab und die fünf Sinne und die vier Elemente, na, da hielt alles so leidlich zusammen. Atome gab es ja auch schon im Altertum. Doch als man bei uns erfuhr, daß ihr das ›chemische Molekül‹ entdeckt hättet und das ›Protoplasma‹ und Gott weiß was noch, da kniffen sie bei uns die Schwänze zwischen die Beine. Es begann ein wüstes Treiben, besonders Aberglaube, Klatscherei, Klatscherei gibt es ja auch bei uns, soviel wie bei euch, sogar noch ein bißchen mehr und dann noch Denunziation – bei uns gibt es ja auch eine Abteilung, wo gewisse Mitteilungen entgegengenommen werden ... Also nun diese absonderliche Legende. Sie stammt noch aus unserem Mittelalter, nicht aus eurem Mittelalter, sondern aus unserem, und selbst bei uns glaubt an sie niemand außer den siebenpudschweren Kaufmannsfrauen, das

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