Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
zu diesem verhängnisvollen Zeitpunkt in Aljoscha zutage trat: eine Art von qualvoller Erinnerung an sein gestriges Gespräch mit seinem Bruder Iwan. Gerade jetzt kam ihm dieses immer stärker ins Gedächtnis. Nicht, daß in seiner Seele etwas von den elementaren Bestandteilen seines Glaubens ins Wanken geraten wäre. Nein, er liebte seinen Gott und glaubte an Ihn unerschütterlich, obwohl er sich auf einmal beinahe gegen Ihn empörte. Dennoch rief die Erinnerung an das Gespräch mit seinem Bruder Iwan in der Tiefe seiner Seele jetzt plötzlich von neuem ein deutliches, aber quälendes, häßliches Gefühl hervor, das sich immer mehr nach oben drängte.
    Als es schon stark dämmerte, sah Rakitin, der von der Einsiedelei durch das Wäldchen zum Kloster ging, Aljoscha unter einem Baum liegen, mit dem Gesicht zur Erde; er rührte sich nicht und schien zu schlafen. Rakitin trat näher und rief ihn an. »Du hier, Alexej? Ist es mit dir ...«, begann er erstaunt, brach dann jedoch ab, ohne den Satz zu beenden. Er hatte sagen wollen: Ist es mit dir wirklich so weit gekommen?
    Aljoscha sah ihn nicht an, doch Rakitin merkte an einer kleinen Bewegung sofort, daß er ihn hörte und verstand.
    »Was hast du denn?« fragte er dann, noch immer verwundert.
    Aber die Verwunderung auf seinem Gesicht machte allmählich einem Lächeln Platz, das mehr und mehr einen spöttischen Ausdruck annahm.
    »Hör mal, ich suche dich schon über zwei Stunden. Du warst auf einmal verschwunden. Was machst du denn hier? Was sind das für fromme Dummheiten? Sieh mich doch wenigstens an!«
    Aljoscha hob den Kopf, setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum. Er weinte nicht, aber sein Gesicht drückte Leid aus, und seinem Blick war eine gereizte Stimmung anzumerken. Er sah Rakitin nicht an, sondern blickte irgendwohin zur Seite.
    »Weißt du, du hast dich im Gesicht vollständig verändert. Von deiner vielgerühmten Sanftmut ist nichts mehr zu sehen. Bist du auf jemand zornig, ja? Bist du beleidigt worden?«
    »Hör auf!« sagte Aljoscha auf einmal und machte mit der Hand eine müde, abweisende Bewegung.
    »Oho, was ist das für ein Ton? Fährt der einen an – ganz wie es die übrigen Sterblichen tun? Das ist ja äußerst engelsgleich! Aljoschka, du hast mich in Erstaunen versetzt, weißt du das? Ich rede im vollen Ernst. Ich wundere mich hier schon lange über nichts mehr. Dabei habe ich dich immer für einen gebildeten Menschen gehalten ...«
    Aljoscha sah ihn endlich an, aber irgendwie zerstreut, als ob er alles noch nicht recht begriffen hätte.
    »Bist du wirklich nur deshalb so, weil dein Starez angefangen hat zu stinken? Hast du denn im Ernst geglaubt, er würde anfangen, Wunder zu tun?« rief Rakitin wieder mit aufrichtigstem Staunen.
    »Ich habe es geglaubt, ich glaube es, und ich will es glauben und werde es glauben! Was willst du noch weiter?« schrie Aljoscha gereizt.
    »Gar nichts, mein Täubchen. Donnerwetter, an so etwas glaubt ja heutzutage nicht einmal mehr ein dreizehnjähriger Schuljunge! Aber hol's der Teufel ... Also, du bist nun auf deinen Gott wütend geworden, hast dich empört? Ihr seid bei der Beförderung übergangen worden, habt zu den Feiertagen keinen Orden gekriegt! Ihr seid mir die Richtigen!«
    Aljoscha blickte Rakitin lange mit halb zugekniffenen Augen an, und in seinen Augen funkelte plötzlich etwas auf, jedoch nicht Zorn auf Rakitin.
    »Ich empöre mich nicht gegen meinen Gott. Ich akzeptiere nur seine Welt nicht«, erwiderte Aljoscha mit einem verkrampften Lächeln.
    »Was heißt das – du akzeptierst die Welt nicht?« fragte Rakitin, nachdem er einen Augenblick über diese Antwort nachgedacht hatte. »Was ist das für ein Nonsens?«
    Aljoscha antwortete nicht.
    »Na, wir haben genug über Nebensächliches geredet. Jetzt zur Sache. Hast du heute schon etwas gegessen?«
    »Ich erinnere mich nicht ... Ich glaube, ja.«
    »Nach deinem Gesicht zu urteilen, brauchst du eine Stärkung. Du jammerst einen, wenn man dich bloß ansieht. Du hast ja auch die Nacht nicht geschlafen; ich habe gehört, ihr hattet da so eine Sitzung. Und dann dieses ganze Lärmen und Treiben! Du hast sicher nur ein Stückchen Abendmahlsbrot gekaut. Ich habe eine Wurst in der Tasche, ich habe sie mir vorhin für alle Fälle aus der Stadt mitgebracht. Aber du wirst ja wohl die Wurst nicht ...«
    »Gib nur her!«
    »Ah! So redest du! Also schon totale Rebellion, Barrikadenbau! Na Bruder, dieser Umschwung ist nicht zu verachten.

Weitere Kostenlose Bücher