Die Brueder Karamasow
schon erwiesen ist; Umarmungen und Küsse, die er selbst gesehen hat, wenn er beispielsweise gleichzeitig irgendwie zu der Überzeugung gelangen kann, daß dies »zum letztenmal« gewesen ist, daß sein Nebenbuhler von dieser Stunde an verschwinden oder daß er selbst die Geliebte an einen Ort bringen wird, wohin der Nebenbuhler niemals kommt. Natürlich dauert diese Aussöhnung nur eine Stunde; denn mag auch der Nebenbuhler tatsächlich verschwunden sein – der Eifersüchtige wird gleich morgen einen neuen ausfindig machen und auf ihn eifersüchtig sein. Man könnte meinen: Was ist schon eine Liebe wert, die so angestrengt bewacht werden muß? Aber gerade das werden Eifersüchtige nie begreifen – und dabei gibt es unter ihnen sogar Leute von edler Gesinnung. Beachtenswert ist auch noch folgendes. Wenn solche Leute von edler Gesinnung in irgendeiner Rumpelkammer stehen und horchen, spüren sie zwar deutlich die ganze Schmach, in die sie sich selbst freiwillig hineinbegeben haben, doch empfinden sie niemals Gewissensbisse, zumindest nicht in dem Moment, da sie in dieser Rumpelkammer stehen.
Bei Mitja verschwand alle Eifersucht jedesmal, wenn er Gruschenka erblickte; für einen Augenblick wurde er dann vertrauensvoll und verachtete sich sogar selbst wegen seiner häßlichen Regungen. Daraus war jedoch nur zu sehen, daß in seiner Liebe zu dieser Frau etwas weit Höheres lag, als er selbst glaubte: nicht nur Leidenschaft, nicht nur Bewunderung der »Körperkonturen«, von denen er Aljoscha gegenüber gesprochen hatte. Doch sobald Gruschenka verschwunden war, begann er sie wieder zu verdächtigen, daß sie die gemeinste, hinterlistigste Untreue begehe. Gewissensbisse aber empfand er dabei nicht.
So stieg denn jetzt erneut Eifersucht in seinem Herzen auf. Zunächst jedoch mußte er sich beeilen. Er mußte sich wenigstens ein klein bißchen Geld leihweise verschaffen. Die neun Rubel waren fast völlig für die Fahrt draufgegangen, und ganz ohne Geld kann man bekanntlich nicht einen Schritt tun. Aber er hatte sich vorhin zugleich mit seinem neuen Plan auch überlegt, wo er sich etwas Geld leihen konnte. Er besaß ein Paar gute Duellpistolen mit Patronen, und wenn er sie bisher noch nicht versetzt hatte, so deshalb, weil er sie mehr liebte als alles, was ihm sonst gehörte. In dem Restaurant »Zur Residenz« hatte er schon vor längerer Zeit einen jungen Beamten flüchtig kennengelernt und in dem Restaurant erfahren, daß dieser unverheiratete, wohlhabende Beamte eine besondere Leidenschaft für Waffen hatte, daß er Pistolen, Revolver und Dolche zusammenkaufte, zu Hause an den Wänden aufhängte, seinen Bekannten zeigte, damit prahlte und sich vorzüglich darauf verstand, das System eines Revolvers zu erklären, wie er geladen und gesichert wird und so weiter. Ohne sich lange zu besinnen, begab sich Mitja sogleich zu ihm und machte ihm den Vorschlag, die Pistolen als Pfand für ein Darlehen von zehn Rubeln anzunehmen. Der Beamte, dem die Pistolen sehr gefielen, redete ihm zu, sie ihm ganz zu verkaufen. Doch Mitja willigte nicht ein, und so lieh ihm jener die zehn Rubel, wobei er erklärte, daß er unter keinen Umständen Zinsen nehmen werde. Sie trennten sich als Freunde.
Mitja hatte es eilig; er wollte in seine Laube hinter Fjodor Pawlowitschs Grundstück, um so schnell wie möglich Smerdjakow herauszurufen. Auf diese Weise ergab es sich abermals, daß er nur drei oder vier Stunden vor einem gewissen Ereignis, von dem ich später reden werde, nicht eine Kopeke besessen und für zehn Rubel einen ihm sehr lieben Gegenstand verpfändet hatte, während man drei Stunden danach plötzlich Tausende in seinen Händen erblickte. Aber ich greife schon wieder vor.
Bei Marja Kondratjewna, der Nachbarin von Fjodor Pawlowitsch, erwartete ihn eine Nachricht, die ihn sehr bestürzte: die Nachricht von Smerdjakows Krankheit, von seinem Sturz in den Keller, dann von seinem epileptischen Anfall, der Ankunft des Arztes und den fürsorglichen Bemühungen Fjodor Pawlowitschs. Mit Interesse erfuhr er auch von der Abreise seines Bruders Iwan Fjodorowitsch am Morgen nach Moskau. ›Er muß demnach vor mir durch Wolowja gekommen sein?‹ überlegte Dmitri Fjodorowitsch.
Das mit Smerdjakow beunruhigte ihn hingegen tief: Was soll jetzt bloß werden? Wer wird Wache halten, wer wird mir Nachricht geben? Hastig begann er die Frauen auszufragen, ob sie gestern abend etwas bemerkt hätten. Diese begriffen sehr wohl, worauf seine Fragen abzielten,
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