Die Brueder Karamasow
sorgenvoll im Zimmer auf und ab.
»Bruder, ich kann nicht mehr lange hierbleiben«, sagte Aljoscha nach kurzem Schweigen! »Morgen ist für dich ein schrecklicher, ein wichtiger Tag. Gottes Gericht wird sich an dir vollziehen ... Und da wundere ich mich, daß du statt von dem Wichtigsten von wer weiß was redest ...«
»Nein, wundere dich darüber nicht!« unterbrach ihn Mitja hitzig! »Wozu sollen wir von diesem stinkenden Hund, dem Mörder, reden? Davon haben wir beide schon genug gesprochen. Ich will von dem stinkenden Sohn der Stinkenden nichts mehr hören! Gott wird ihn töten, das wirst du sehen! Kein Wort mehr über ihn!«
Er trat in großer Erregung zu Aljoscha und küßte ihn plötzlich. Seine Augen brannten.
»Rakitin würde das nicht begreifen«, fuhr er fort, dabei schien er ganz erfüllt von einer eigenartigen Begeisterung! »Aber du, du wirst alles begreifen. Deswegen habe ich mich so nach dir gesehnt. Siehst du, ich wollte dir hier in diesen kahlen Mauern schon längst vieles mitteilen, doch das Wichtigste habe ich dir verschwiegen. Immerzu schien mir die rechte Zeit dafür noch nicht gekommen. So ist jetzt, vor lauter Warten, der letzte Augenblick da, wo ich dir mein Herz ausschütten kann ... Bruder, ich habe in diesen letzten zwei Monaten einen neuen Menschen in mir gespürt, ein neuer Mensch ist in mir auferstanden! Er war in mir eingeschlossen, und er wäre nie zutage getreten, wäre nicht dieses Unwetter über mich niedergegangen. Es ist furchtbar! Was liegt mir daran, daß ich in den Bergwerken zwanzig Jahre lang Erz klopfen werde – davor fürchte ich mich nicht! Etwas anderes ist es, was mich ängstigt: Dieser auferstandene Mensch könnte aus mir entweichen! Man kann auch dort, in den Bergwerken, unter der Erde, neben sich, in einem Sträfling und Mörder ein menschliches Herz finden und ihm nähertreten, auch dort kann man leben und lieben und leiden! Man kann in diesem Sträfling das erstarrte Herz auferwecken und wiederbeleben, man kann ihn jahrelang liebevoll pflegen und endlich eine hohe Seele und einen Geist aus der dunklen Höhle zum Licht emporheben, der sich seines Märtyrertums bewußt ist, man kann einen Engel aus dem Grab erwecken und einen Helden auferstehen lassen! Und ihrer sind viele, ihrer sind Hunderte – und wir alle sind an ihren Sünden schuld! Warum habe ich damals, in einem solchen Augenblick, von dem ›Kindelein‹ geträumt? Warum ist das ›Kindelein‹ arm? Das war seinerzeit für mich eine Prophezeiung! Für das ›Kindelein‹ werde ich nach Sibirien gehen. Denn alle sind wir für alle schuldig. Für alle ›Kindelein‹: es gibt kleine Kinder und große Kinder. Alle sind ›Kindelein‹. Für alle werde ich nach Sibirien gehen, denn einer muß doch für alle hingehen. Ich habe den Vater nicht getötet, trotzdem muß ich hingehen. Ich nehme es auf mich! Mir ist hier diese Erkenntnis aufgegangen ... Hier in diesen kahlen Mauern. Aber es sind ihrer ja viele, es sind ihrer Hunderte dort unter der Erde, mit Hämmern in den Händen. O ja, wir werden in Ketten und ohne Freiheit sein, doch wir werden in unserem großen Leid von neuem zur Freude auferstehen, ohne die der Mensch nicht leben, ja ohne die selbst Gott nicht sein kann, denn Gott spendet Freude: Das ist sein großes Vorrecht ... O Gott, der Mensch muß weich werden im Gebet! Wie könnte ich dort unter der Erde ohne Gott sein? Rakitin lügt: Wenn sie Gott von der Erde vertreiben, werden wir Ihn unter der Erde finden! Für einen Sträfling ist es unmöglich, ohne Gott zu leben, noch unmöglicher als für jemand, der kein Sträfling ist. Und dann werden wir dort unter der Erde unserem Gott aus den Eingeweiden der Erde eine tragische Hymne anstimmen, Ihm, unserem Gott, bei dem die Freude ist! Es lebe Gott und seine Freude! Ich liebe Ihn!«
Während dieser erregten Worte war Mitja ganz außer Atem gekommen. Er war blaß geworden, seine Lippen zitterten, und Tränen traten ihm in die Augen.
»Nein, das Leben hat einen reichen Inhalt, es gibt ein Leben auch unter der Erde!« begann er von neuem! »Du glaubst gar nicht, Alexej, wie mich jetzt verlangt zu leben, was für Durst nach Dasein und Erkenntnis ich gerade innerhalb dieser kahlen Mauern bekommen habe! Rakitin hat dafür kein Verständnis, der will weiter nichts, als sich ein Haus bauen und Mieter hineinnehmen! Was ist schon das Leiden? Ich fürchte es nicht mehr, früher habe ich es gefürchtet. Weißt du, vielleicht werde ich vor Gericht überhaupt
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