Die Brueder Karamasow
werde ihm die dreitausend Rubel entreißen und sie Dir hinwerfen. Ich habe mich Dir gegenüber zwar wie ein Schuft benommen, trotzdem bin ich kein Dieb! Erwarte die dreitausend Rubel! Sie liegen bei dem Hund unter der Matratze, mit einem rosa Bändchen umwickelt. Ich bin kein Dieb, sondern ich töte den, der mich bestohlen hat. Katja, mach kein verächtliches Gesicht: Dmitri ist kein Dieb, sondern ein Mörder! Er hat seinen Vater totgeschlagen und sich zugrunde gerichtet, um aufrecht stehen zu können und Deinen Stolz nicht ertragen zu müssen. Und um Dich nicht lieben zu müssen.
PP. S. Ich küsse Deine Füße, lebe wohl!
PP. SS. Katja, bete zu Gott, daß mir diese Leute das Geld geben. Dann werde ich kein Blut vergießen. Geben Sie es mir aber nicht, dann vergieße ich Blut. Töte mich!
Dein Sklave und Feind D. Karamasow.«
Als Iwan dieses Schriftstück gelesen hatte, stand er überzeugt auf. Also hatte sein Bruder den Mord begangen und nicht Smerdjakow. Und wenn Smerdjakow nicht, dann auch er, Iwan nicht. Dieser Brief erlangte in seinen Augen sofort die Bedeutung eines unwiderleglichen Beweises. An Mitjas Schuld konnte für ihn nun kein Zweifel mehr bestehen. Beiläufig gesagt: daß Mitja den Mord gemeinsam mit Smerdjakow begangen haben könnte, diesen Verdacht hatte Iwan niemals gehegt; das paßte auch nicht zu den Tatsachen. Iwan war vollständig beruhigt. Am anderen Morgen erinnerte er sich nur mit Geringschätzung an Smerdjakow und dessen Spottreden. Ein paar Tage darauf wunderte er sich sogar darüber, daß er dessen Verdächtigungen so qualvoll als beleidigend empfunden hatte. Er nahm sich vor, ihn zu verachten und zu vergessen. So verging ein Monat. Nach Smerdjakow erkundigte er sich bei niemand mehr; er hörte nur ein paarmal flüchtig, daß dieser sehr krank und nicht mehr voll bei Verstand sei! »Er wird im Wahnsinn enden«, hatte der junge Arzt Warwinski einmal gesagt, und Iwan entsann sich dieses Ausspruchs. In der letzten Woche dieses Monats fing Iwan selbst an, sich unwohl zu fühlen. Er war auch schon zu einer Konsultation zu dem Moskauer Arzt gegangen, den Katerina Iwanowna hatte kommen lassen und der kurz vor der Gerichtsverhandlung eingetroffen war. Gerade in dieser Zeit hatten sich seine Beziehungen zu Katerina Iwanowna zugespitzt. Die beiden waren sozusagen zwei ineinander verliebte Feinde. Katerina Iwanownas Rückfälle in ihre Liebe zu Mitja, die zwar immer nur von kurzer Dauer, aber sehr stark waren, hatten Iwan bereits in Raserei versetzt. Merkwürdig, bis zu jener letzten Szene bei Katerina Iwanowna, als Aljoscha in Mitjas Auftrag zu ihr gekommen war, hatte er, Iwan, in dem ganzen Monat von ihr kein einziges Mal einen Zweifel an Mitjas Schuld gehört, trotz ihrer ihm so verhaßten »Rückfälle«. Und noch eines war bemerkenswert: Er fühlte, daß er Mitja mit jedem Tag mehr haßte, und erkannte gleichzeitig, daß es nicht wegen der »Rückfälle« Katjas war, sondern weil er den Vater totgeschlagen hatte! Das fühlte er und war sich dessen vollständig bewußt. Und dennoch ging er zehn Tage vor der Gerichtsverhandlung zu Mitja und legte ihm einen Fluchtplan vor, den er offenbar schon lange überdacht hatte. Außer der Hauptursache, die ihn zu diesem Schritt veranlaßte, war noch eine nicht vernarbte Wunde in seinem Herzen mit im Spiel, eine Wunde, die von der Bemerkung Smerdjakows herrührte, es sei für ihn, Iwan, vorteilhaft, wenn sein Bruder verurteilt würde: dann erhöhe sich sein und Aljoschas Anteil an der Hinterlassenschaft des Vaters von je vierzigtausend auf je sechzigtausend Rubel. Er beschloß daher, seinerseits dreißigtausend Rubel zu opfern, um seinem Bruder Mitja die Flucht zu ermöglichen. Nach seiner Rückkehr von ihm war er sehr traurig und verstört; es war ihm auf einmal zu Bewußtsein gekommen, daß er die Flucht nicht nur deswegen wünschte, um dafür dreißigtausend Rubel zu opfern und so seine Wunde zu heilen, sondern auch noch aus einem anderen Grund. ›Wünsche ich sie deswegen, weil ich im Grunde meiner Seele ein ebensolcher Mörder bin?‹ fragte er sich selbst. Etwas Fernliegendes, Brennendes quälte seine Seele. Vor allen Dingen aber hatte in diesem Monat sein Stolz furchtbar gelitten – doch davon später. Als Iwan Fjodorowitsch nach seinem Gespräch mit Aljoscha schon den Klingelgriff an seiner Wohnung berührt und sich dann doch entschlossen hatte, zu Smerdjakow zu gehen, hatte er einem plötzlich aufsteigendem Gefühl des Unwillens gehorcht. Er
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