Die Brüder Karamasow
geküßt! Und ist weggelaufen!« schrie er in beinahe krankhaftem Entzücken; man könnte auch sagen, in frechem Entzücken, wenn dieses Entzücken nicht so ungekünstelt gewesen wäre. »Also die andere hat geschrien und sie eine Tigerin genannt. Eine Tigerin ist sie wirklich! Und aufs Schafott müßte sie? Ja, ja, das müßte sie, ich bin selbst der Meinung, daß sie das müßte, schon längst gemußt hätte! Siehst du, Bruder, meinetwegen mag man sie aufs Schafott schleppen, doch vorher müßte unsereiner erst von seiner Verzauberung geheilt werden. Ich verstehe diese Königin der Frechheit, in dieser Geschichte mit dem Handküssen hat sie ihr ganzes Wesen offenbart! Diese Teufelin. Sie ist die Königin aller Teufelinnen, so viele man sich nur in der Welt denken kann! In ihrer Art entzückend! Also sie ist nach Hause gelaufen? Da muß ich sofort ... Ach ... ich muß zu ihr! Aljoschka, sei mir nicht böse – ich gebe ja zu, es wäre noch zuwenig, wenn man sie erwürgt.«
»Und Katerina Iwanowna!« rief Aljoscha traurig.
»Auch die verstehe ich! Vollkommen durchschaue ich sie und verstehe sie wie noch nie! Das ist eine wahre Entdeckung aller vier Erdteile, ich meine, aller fünf! So ein Schritt! Das ist genau dieselbe Katenka, das Institutsfräulein, die in der hochherzigen Absicht, ihren Vater zu retten, sich nicht fürchtete, zu einem dummen, rohen Offizier zu laufen, wo sie riskierte, in furchtbarer Weise beleidigt zu werden! Dieser Stolz, dieses Verlangen nach der Gefahr, diese maßlose Herausforderung des Schicksals! Du sagst, die Tante wollte sie zurückhalten? Diese Tante, weißt du, ist selbst nicht weniger selbstherrlich. Sie ist die Schwester jener Moskauer Generalin und trug die Nase noch höher als diese. Aber ihr Mann wurde des Diebstahls von Staatsgeldern überführt und verlor alles, sein Gut und alles, und die stolze Gemahlin mußte auf einmal ihren Ton herabstimmen und hat ihn auch seitdem nicht wieder hinaufgeschraubt. Also sie hat Katja zurückhalten wollen, die ist ihr aber nicht gefolgt? Sie hat sich gesagt: Ich kann alles besiegen, alles ist mir untertan! Wenn ich will, bezaubere ich auch Gruschenka! Sie hat sich selbst vertraut, hat vor sich selbst großgetan, wer trägt da die Schuld? Du meinst, sie hätte Gruschenka absichtlich als erste die Hand geküßt, mit schlauer Berechnung? Nein, sie hat Gruschenka wirklich liebgewonnen, das heißt nicht Gruschenka, sondern ihr eigenes Traumbild, ihr eigenes Phantasiegeschöpf, weil es eben ihr Traumbild, ihr Phantasiegeschöpf war. Aljoscha, mein Täubchen, wie hast du dich nur vor diesen beiden gerettet? Du hast wohl deine Kutte gerafft und bist davongelaufen? Hahaha!«
»Du scheinst gar nicht zu beachten, Bruder, wie sehr du Katerina Iwanowna beleidigt hast, als du Gruschenka von jenem Tag erzähltest; sie hat es ihr nämlich gleich ins Gesicht geworfen: ›Sie selbst sind heimlich zu Kavalieren gegangen, um Ihre Schönheit zu verkaufen.‹ Bruder, was kann es Schlimmeres geben als diese Beleidigung?«
Am meisten quälte Aljoscha der Gedanke, sein Bruder könnte sich über Katerina Iwanownas Demütigung gewissermaßen freuen – obwohl das natürlich ausgeschlossen war.
»Donnerwetter!« rief Dmitri Fjodorowitsch, machte plötzlich ein furchtbar finsteres Gesicht und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Erst jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit hierauf. Obwohl Aljoscha soeben alles berichtet hatte, auch die Beleidigung und auch Katerina Iwanownas Ausruf: »Ihr Bruder ist ein Schuft!« – trotzdem schien ihm dies bisher nicht aufgefallen zu sein. »Ja, ich habe wirklich Gruschenka von jenem unseligen Tag, wie Katja ihn nennt, erzählt. Ja, ich erinnere mich! Das war damals in Mokroje, ich war betrunken, die Zigeunerinnen sangen ... Ich habe aber dabei geschluchzt, habe auf den Knien gelegen und vor Katjas Bild gebetet, und Gruschenka hatte dafür Verständnis. Sie hat damals alles verstanden, ich erinnere mich, sie hat selbst geweint ... Zum Teufel! Damals hat sie geweint und jetzt ... Jetzt stößt sie ihr den Dolch ins Herz! So sind die Weiber!«
Er ließ den Kopf sinken und dachte nach.
»Ja, ich bin ein Schuft! Zweifellos bin ich ein Schuft«, sagte er plötzlich in düsterem Ton. »Ganz gleich, ob ich geweint habe oder nicht, ganz gleich, ich bin ein Schuft! Bestell ihr, daß ich die Bezeichnung annehme, wenn ihr das ein Trost sein kann. Na, nun genug, leb wohl! Wozu noch länger schwatzen! Das ist nicht erfreulich. Geh du
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