Die Brüder Karamasow
mißtrauisch an. »Es ist schon der dritte Tag, daß er die Nacht nicht hier verbracht hat, vielleicht ist er verreist«, antwortete der Alte auf Aljoschas dringliche Fragen. Aljoscha merkte, daß er seine Antworten nach einer Instruktion erteilte. Als er fragte: »Ist er bei Gruschenka, oder hat er sich vielleicht wieder bei Foma versteckt?« und dabei absichtlich seine Kenntnis der intimen Verhältnisse bewies, blickten ihn die Wirtsleute ganz erschrocken an. ›Also haben sie ihn gern und stehen auf seiner Seite‹, dachte Aljoscha. ›Das ist gut!‹
Endlich fand er in der Osjornajastraße das Haus der Kleinbürgerin Kalmykowa, ein baufälliges, schiefgesunkenes Häuschen mit nur drei Fenstern zur Straße und mit einem schmutzigen Hof, auf dem einsam eine Kuh stand. Der Eingang in den Flur war vom Hof aus; links vom Flur wohnte die alte Wirtin mit ihrer ebenfalls schon bejahrten Tochter, beide schienen taub zu sein. Auf Aljoschas mehrmalige Frage nach dem Stabskapitän deutete eine von ihnen, endlich begreifend, daß er nach den Mietern fragte, mit dem Finger auf die Tür zur vermieteten »guten Stube«. Die Wohnung des Stabskapitäns bestand tatsächlich nur aus einer einzigen Stube. Aljoscha wollte schon nach der eisernen Klinke greifen, um die Tür zu öffnen, als ihn die auffallende Stille hinter der Tür stutzig machte. Er wußte jedoch von Katerina Iwanowna, daß der verabschiedete Stabskapitän Familie hatte, und sagte sich: ›Entweder schlafen sie alle, oder sie haben gehört, daß ich gekommen bin, und warten darauf, daß ich eintrete? Ich will doch lieber erst anklopfen.‹ Und er klopfte an. Eine Antwort erfolgte, aber nicht sogleich, sondern etwa zehn Sekunden später.
»Wer ist da?« rief jemand mit lauter und betont verärgerter Stimme.
Aljoscha öffnete nun und trat über die Schwelle. Er befand sich in einer Stube, die zwar ziemlich geräumig, doch übermäßig voll von Menschen und allerlei Hausrat war. Links stand ein großer russischer, Ofen. Von dem Ofen war durch das ganze Zimmer zum linken Fenster ein Strick gespannt, an dem diverse Lappen hingen. An den beiden Wänden links und rechts stand je ein Bett mit einer Strickdecke. Auf dem einen, dem linken, war ein kleiner Berg aus vier Baumwollkopfkissen aufgetürmt, von denen immer eines kleiner war als das andere. Auf dem anderen Bett lag nur ein sehr kleines Kopfkissen. In der vorderen Ecke war durch einen Vorhang oder vielmehr durch ein Laken ein kleiner Raum abgeteilt; dieses Laken war über einen quer über die Ecke gespannten Strick geworfen. Hinter diesem Vorhang befand sich noch ein Bett, das seitlich auf einer Bank und einem herangerückten Stuhl aufgeschlagen war. Ein einfacher viereckiger hölzerner Bauerntisch reichte von der anderen vorderen Ecke bis zum mittleren Fenster. Alle drei Fenster, jedes mit vier kleinen, grün angelaufenen Scheiben, waren sehr trüb und dazu dicht geschlossen, so daß es im Zimmer recht dumpfig und nicht besonders hell war. Auf dem Tisch stand eine Pfanne mit Spiegeleiresten, daneben lag ein halb aufgegessenes Stück Brot, und außerdem stand da noch eine Literflasche mit einem geringen, nur den Boden bedeckenden Rest »irdischer Seligkeit«. Links neben dem Bett, auf einem Stuhl, saß eine Frau in einem Kattunkleid, die wie eine Dame aussah. Sie war im Gesicht mager und gelb, ihre eingefallenen Wangen zeugten von ihrem schlechten Gesundheitszustand. Den stärksten Eindruck machte auf Aljoscha der Blick dieser armen Frau; er hatte etwas auffällig Fragendes und zugleich etwas sehr Hochmütiges an sich. Und die ganze Zeit, während sie nicht selbst sprach, weil Aljoscha ein Gespräch mit dem Hausherrn hatte, ließ sie ihre großen braunen Augen in derselben fragenden, hochmütigen Weise von einem zum anderen schweifen. Neben dieser Frau, am linken Fenster, stand ein junges Mädchen mit ziemlich unschönem Gesicht und rötlichem, dünnem Haar, ärmlich, aber sehr sauber gekleidet. Sie sah den eintretenden Aljoscha geringschätzig an. Rechts am Bett saß noch ein drittes weibliches Wesen, ein sehr bemitleidenswertes Geschöpf: ebenfalls ein junges Mädchen, etwa zwanzig Jahre alt, aber bucklig und an den Beinen gelähmt; sie waren, wie Aljoscha später hörte, verdorrt. Ihre Krücken standen neben ihr in der Ecke, zwischen dem Bett und der Wand. Die auffallend schönen, guten Augen des Mädchens schauten Aljoscha sanft und ruhig an. Am Tisch saß, mit dem Rest der Spiegeleier beschäftigt, ein Herr von
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