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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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der Ecke. Es war die Stimme des Schulknaben von vorhin. Ich habe ihn heute nämlich in den Finger gebissen.«
    Der Vorhang wurde zur Seite geschoben, und Aljoscha erblickte in der Ecke unter den Ikonen, auf einem Bettchen, das auf einer Bank und auf einem Stuhl zurechtgemacht war, seinen Gegner von vorhin. Der Bursche lag da, mit seinem zu kleinen Mantel und einer alten wattierten Decke zugedeckt. Er war offensichtlich krank und hatte, nach seinen brennenden Augen zu urteilen, starkes Fieber. Anders als bei der früheren Begegnung sah er Aljoscha jetzt furchtlos an, wie wenn er sagen wollte: ›Hier zu Hause kannst du mir nichts tun!‹
    »Was heißt das – in den Finger gebissen?« rief der Stabskapitän und machte Anstalten, von seinem Stuhl aufzuspringen. »Hat er Sie in den Finger gebissen?«
    »Ja, das hat er getan. Er und andere Jungen haben sich heute auf der Straße mit Steinen beworfen, und zwar sechs gegen ihn allein. Ich wollte zu ihm gehen, aber er warf auch nach mir mit einem Stein und mit einem anderen sogar nach meinem Kopf. Ich fragte ihn, was ich ihm getan hätte, da stürzte er sich plötzlich auf mich und biß mich schmerzhaft in den Finger – warum, weiß ich nicht!«
    »Sofort werde ich ihn verprügeln! Augenblicklich werde ich ihn verprügeln!« rief der Stabskapitän und sprang nun wirklich von seinem Stuhl auf.
    »Aber ich beschwere mich ja gar nicht, ich habe nur den Hergang erzählt. Ich möchte überhaupt nicht, daß Sie ihn verprügeln. Er scheint ja auch krank zu sein ...«
    »Haben Sie wirklich gedacht, ich würde ihn verprügeln? Ich würde Iljuschetschka nehmen und ihn in Ihrer Gegenwart zu Ihrer Genugtuung verprügeln? Haben Sie es denn so eilig?« sagte der Stabskapitän und wandte sich mit einer Bewegung, als wollte er sich auf ihn stürzen, an Aljoscha. »Es tut mir leid um Ihren Finger, mein Herr. Aber soll ich mir nicht, statt Iljuschetschka durchzuhauen, vor Ihren Augen zu Ihrer Genugtuung vier von meinen Fingern mit diesem Messer abschneiden? Vier Finger werden Ihnen zur Befriedigung Ihres Rachedurstes genügen, glaube ich, den fünften verlangen Sie doch wohl nicht?«
    Er hielt plötzlich inne, offenbar aus Luftmangel. Jeder Muskel seines Gesichts bebte und zuckte, sein Blick hatte etwas Herausforderndes. Er schien außer sich zu sein.
    »Ich glaube jetzt alles zu verstehen«, antwortete Aljoscha, der sitzen geblieben war, leise und traurig. »Ihr Sohn ist also ein braver Junge, der seinen Vater liebt. Er hat sich auf mich gestürzt, weil er wußte, daß ich der Bruder jenes Mannes bin, der Sie beleidigt hat. Das verstehe ich jetzt«, wiederholte er nachdenklich. »Aber mein Bruder Dmitri Fjodorowitsch bereut seine Tat, das weiß ich, und wenn es ihm nur möglich wäre, zu Ihnen zu kommen oder, noch besser, sich mit Ihnen nochmals an demselben Ort zu treffen, würde er Sie in Gegenwart aller um Verzeihung bitten ... Wenn Sie es wünschen.«
    »Also erst hat er mit den Bart ausgerissen und nachher um Entschuldigung gebeten? Dann kann er sagen, er habe alles erledigt und Genugtuung gegeben, nicht wahr?«
    »O nein, im Gegenteil, er wird alles tun, was Sie wünschen und wie Sie es wünschen.«
    »Also wenn ich Seine Erlaucht ersuchen würde, in demselben Restaurant, es heißt ›Zur Residenz‹, oder auf dem Marktplatz vor mir auf die Knie zu fallen, würde er das tun?«
    »Ja, er würde vor Ihnen auf die Knie fallen.«
    »Ihre Worte haben mich tief ergriffen. Zu Tränen gerührt und tief ergriffen. Ich bin nur zu geneigt, die Großmut Ihres Bruders zu empfinden. Gestatten Sie aber, daß ich Ihnen nunmehr alle Anwesenden vorstelle. Hier meine Kinder, meine beiden Töchter und mein Sohn – mein Wurf. Wenn ich sterbe, wer wird sie dann lieben? Und solange ich noch lebe, wer wird mich Scheusal außer ihnen lieben? Es ist etwas Schönes und Großes um diese Einrichtung, die Gott da für jeden Menschen meiner Art getroffen hat. Denn auch einen Menschen meiner Art muß doch irgend jemand lieben ...«
    »Ja, das ist vollkommen richtig!« rief Aljoscha.
    »Hören Sie doch endlich auf, den Hanswurst zu spielen! Da kommt irgendein Dummkopf daher, und Sie entehren sich gleich!« rief plötzlich das Mädchen am Fenster, dabei zeigte es seinem Vater eine Miene des Ekels und der Verachtung.
    »Gedulden Sie sich noch ein wenig, Warwara Nikolajewna! Gestatten Sie, daß ich die einmal eingeschlagene Richtung beibehalte!« rief ihr der Vater zu, und wenn sein Ton auch gebieterisch klang, sah er

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