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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Diesen Diebstahl, so rechtfertigte er sich, hatte er ja nicht aus Eigennutz begangen, sondern um den Verdacht abzulenken. Der Wert des Gestohlenen war unbedeutend, und er spendete auch bald die ganze Summe und sogar weit mehr für das Armenhaus in unserer Stadt. Er tat dies absichtlich, um sein Gewissen wegen des Diebstahls zu beruhigen, und bemerkenswerterweise erreichte er für lange Zeit diesen Zweck wirklich, das hat er mir selbst gesagt. Er stürzte sich damals in eine umfangreiche dienstliche Tätigkeit, drängte sich selbst nach einem mühevollen, schweren Auftrag, der ihn etwa zwei Jahre lang beschäftigte. Und da er einen starken Charakter hatte, vergaß er das Vergangene beinahe; und wenn es ihm wieder einmal ins Gedächtnis kam, bemühte er sich, nicht daran zu denken. Er widmete sich auch der Wohltätigkeit, rief auf diesem Gebiet in unserer Stadt manche nützliche Einrichtung ins Leben, für die er viel Geld aufwendete, machte sich auch in Moskau und Petersburg bekannt und wurde dort zum Mitglied von Wohltätigkeitsvereinen gewählt. Und doch machte ihn die Qual, die über seine Kräfte ging, schließlich melancholisch. Da gefiel ihm ein schönes, kluges junges Mädchen, und er heiratete sie in der Hoffnung, er könnte durch das Eheleben seinen inneren Kummer vertreiben und sich von den alten Erinnerungen lösen, indem er einen neuen Weg einschlug und eifrig seine Pflicht gegenüber seiner Frau und seinen Kindern erfüllte. Es geschah genau das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte. Schon im ersten Monat seiner Ehe begann ihn der Gedanke zu peinigen: ›Da liebt mich nun meine Frau, doch wenn sie es erführe – was dann?‹ Als sie sich zum erstenmal schwanger fühlte und ihm das mitteilte, erregte ihn sofort der Gedanke: ›Ich gebe einem Kind das Leben und habe doch selber jemand das Leben genommen!‹ Und als ihm Kinder geboren waren, sagte er sich: ›Wie darf ich sie lieben, lehren und erziehen, wie soll ich mit ihnen über die Tugend reden? Ich habe Blut vergossen!‹ Die Kinder wuchsen prächtig heran, er wollte sie gern liebkosen. ›Ich kann ihnen aber nicht in die unschuldigen Gesichter sehen‹, sagte er sich. ›Ich bin dessen nicht würdig.‹ Zuletzt flimmerten ihm furchtbare Bilder vor den Augen: das Blut des ermordeten Opfers, das vernichtete junge Leben, das nach Rache schreiende Blut. Er hatte marternde Träume. Da er jedoch ein festes Herz besaß, ertrug er diese Qualen lange. ›Ich werde alles durch diese Qualen sühnen!‹ sagte er sich. Aber auch diese Hoffnung erwies sich als nichtig: Sein Leiden wurde immer stärker. In der Gesellschaft begann man ihn wegen seiner Wohltätigkeit zu achten, obwohl alle vor seinem strengen, finsteren Wesen Scheu empfanden. Doch je mehr man ihn achtete, desto unerträglicher wurde es ihm. Er gestand mir, daß er schon daran gedacht hatte, sich das Leben zu nehmen. Aber statt dessen tauchte in seinem Kopf ein anderer Gedanke auf, ein Gedanke, den er zuerst für unmöglich und sinnlos hielt, der aber schließlich in ihm so feste Wurzeln schlug, daß er ihn nicht mehr loswerden konnte. Sein Plan war dieser: aufzustehen und vor aller Öffentlichkeit zu erklären, daß er einen Menschen ermordet hatte. Drei Jahre trug er sich mit diesem Gedanken, der ihm bald in diesem, bald in jenem Licht erschien. Zuletzt rang er sich in seinem tiefsten Innern zu der Überzeugung durch, er könnte durch das Eingeständnis des Verbrechens seine Seele heilen und ein für allemal zur Ruhe gelangen. Doch trotz dieser Überzeugung war sein Herz von großer Angst erfüllt, denn wie sollte er seinen Plan ausführen? Und da ereignete sich auf einmal der bewußte Vorfall bei meinem Duell.
    »Unter dem Eindruck Ihres Auftretens habe ich jetzt meinen Entschluß gefaßt!« sagte er zu mir.
    Ich sah ihn an, schlug die Hände zusammen.
    »Konnte so ein unbedeutender Vorfall denn wirklich einen solchen Entschluß bei Ihnen entstehen lassen?« rief ich aus.
    »Mein Entschluß ist drei Jahre lang im Entstehen gewesen« antwortete er. »Ihre Handlungsweise hat nur den letzten Anstoß gegeben. Sie anschauend, machte ich mir selbst Vorwürfe und beneidete Sie«, sagte er, und seine Stimme klang dabei fast drohend.
    »Aber man wird Ihnen nicht einmal glauben«, wandte ich ein. »Vierzehn Jahre sind seitdem vergangen.«
    »Ich habe Beweise, entscheidende Beweise. Die werde ich vorlegen.«
    Da mußte ich weinen und umarmte ihn.
    »Nur über einen Punkt geben Sie bitte Ihr entscheidendes

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