Die Brüder Löwenherz
sagte:
»Und wenn alles mißlingt dann sorgst du für meinen Bruder, nicht?«
Dann kam er zu mir zurück.
»Hör zu, Krümel«, sagte er. »Ich gehe jetzt mit dem Gepäck voraus. Und du wartest so lange bei Matthias, bis ich von mir hören lasse. Es wird eine ganze Zeit dauern, denn ich muß vorher noch etwas erledigen.«
Oh, wie mir das mißfiel! Ich habe es nie leiden können, auf Jonathan zu warten. Besonders dann nicht, wenn ich dabei auch noch Angst um ihn hatte, und die hatte ich jetzt. Denn wer konnte wissen, was Jonathan jenseits der Mauer zustieß? Und was hatte er überhaupt vor? Was konnte vielleicht mißlingen?
»Du mußt nicht solche Angst haben, Krümel«, sagte Jonathan.
»Du bist jetzt Karl Löwenherz, vergiß das nicht!«
Dann sagte er Matthias und mir schnell auf Wiedersehen und kroch in den Schlupf. Wir sahen ihn in seinem unterirdischen Gang verschwinden. Er winkte - das letzte, was wir von ihm sahen, war seine Hand, die uns zuwinkte. Und dann waren Matthias und ich allein.
»Der Fettwanst Dodik ahnt nicht, was für ein Maulwurf in diesem Augenblick unter seiner Mauer hindurchkriecht«, sagte Matthias.
»Nein, aber wenn er nun sieht, wie dieser Maulwurf seinen Kopf aus der Erde steckt«, sagte ich.
»Dann schickt er seinen Speer hinterher!«
Ich war so traurig, darum schlich ich mich zu Fjalar in den Stall. Ein letztes Mal wollte ich bei ihm Trost suchen. Aber wie sollte er mich trösten können - ich wußte ja, daß ich ihn nach diesem Abend nie wiedersehen würde. Im Stall war es schummrig. Das Fenster war nur klein und ließ nicht viel Licht herein, aber ich sah doch, wie freudig Fjalar mir den Kopf zuwandte. Ich ging zu ihm in den Stall und legte die Arme um seinen Hals. Ich wollte ihm zu verstehen geben, daß das, was geschehen mußte, nicht meine Schuld war.
»Aber vielleicht ist es doch meine Schuld«, sagte ich weinend.
»Wenn ich im Kirschtal geblieben wäre, dann würde Tengil dich niemals bekommen. Verzeih mir, Fjalar, verzeih! Aber ich konnte nicht anders.«
Fjalar merkte wohl, daß ich traurig war. Er berührte mit seinem weichen Maul mein Ohr. Mir kam es vor, als wolle er nicht, daß ich weinte. Aber ich weinte doch. Ich stand da bei ihm und weinte und weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte. Dann striegelte ich ihn und gab ihm den letzten Hafer. Natürlich mußte er diesen Rest mit Grim teilen. Schreckliche Gedanken fuhren mir durch den Kopf, während ich Fjalar striegelte. Tot soll der umfallen, der mein Pferd holt, dachte ich. Sterben soll er, noch bevor er den Fluß überquert. Ja, es war schrecklich, so etwas zu wünschen, das war es wirklich. Außerdem half es nichts. Nein, bestimmt ist er schon an Bord der Fähre, dachte ich, dieser Fähre, mit der sie all ihr Diebesgut hinüberverfrachten. Vielleicht ist er sogar schon an Land gegangen. Vielleicht geht er gerade jetzt durch das Große Tor und kann jeden Augenblick hier sein. O Fjalar, wenn wir beide doch auf und davon könnten, irgendwohin!
In diesem Augenblick öffnete jemand die Stalltür, ich schrie auf vor Angst. Aber es war nur Matthias. Er wollte nachsehen, was ich so lange machte. Ich war froh, daß es im Stall so schummrig war. Er brauchte nicht zu sehen, daß ich schon wieder geweint hatte. Aber er merkte es wohl doch, denn er sagte:
»Mein Kleiner, wenn ich dir nur helfen könnte! Aber kein Großvater kann das. Also wein du nur!«
Da sah ich durch das Fenster hinter ihm, wie jemand sich dem ^Matthishof näherte. Ein Tengilmann! Er wollte Fjalar holen!
»Da kommt er!« schrie ich. »Matthias, da kommt er schon!«
Fjalar wieherte. Er mochte mein verzweifeltes Schreien nicht hören. Gleich darauf wurde die Stalltür aufgerissen, und dort stand er in seinem schwarzen Helm und seinem schwarzen Mantel.
»Nein«, schrie ich, »nein, nein!«
Doch da war er schon bei mir und schlang die Arme um mich. Jonathan tat dies. Er war es!
»Erkennst du deinen eigenen Bruder nicht?« fragte er, als ich mich sträubte, und er zog mich ans Fenster, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Trotzdem konnte ich kaum glauben, daß es Jonathan war. Er war nicht wiederzuerkennen. Denn er war so häßlich. Noch häßlicher als ich und alles andere als ein
»bemerkenswert schöner Jüngling«. Sein Haar hing naß und strähnig herab und schimmerte nicht mehr wie Gold, und unter die Oberlippe hat er sich einen Priem geschoben. Ich hätte nie gedacht daß so wenig einen Menschen so häßlich machen kann. Er sah
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