Die Brüder Löwenherz
durch den wir jetzt ritten. Es war ein richtiger Märchenwald, finster und dicht, da gab es keine gebahnten Wege. Man ritt einfach zwischen den Bäumen hindurch, deren nasse Zweige einem ins Gesicht schlugen. Mir gefiel es trotzdem. Alles - das Sonnenlicht zwischen den Stämmen hindurchsickern zu sehen, die Vögel zwitschern zu hören und den Geruch von nassen Bäumen und feuchtem Gras und von den Pferden einzuatmen. Das schönste aber war, daß ich hier mit Jonathan ritt. Die Luft im Wald war frisch und kühl, aber je länger wir ritten, desto wärmer wurde es. Es würde ein heißer Tag werden, das war schon jetzt zu spüren. Bald hatten wir das Heckenrosental weit hinter uns gelassen und waren im tiefen Wald. Und dort auf einer Lichtung mit hohen Bäumen ringsum stießen wir auf eine kleine graue Hütte. Mitten im finsteren Wald, wie konnte man so einsam hausen! Aber jemand wohnte dort. Aus dem Schornstein stieg Rauch, und vor der Hütte stelzten ein paar Ziegen umher.
»Hier wohnt Elfrida«, sagte Jonathan. »Sie gibt uns bestimmt ein wenig Ziegenmilch, wenn wir sie darum bitten.«
Und wir bekamen Milch, soviel wir wollten, und das tat gut, denn wir waren lange geritten und hatten noch nichts gegessen. Wir saßen auf den Stufen vor der Tür und tranken Elfridas Ziegenmilch und aßen von dem Brot, das wir in unseren Rucksäcken hatten, und dazu Ziegenkäse, den Elfrida uns gab, und jeder bekam noch eine Handvoll Walderdbeeren, die ich im Wald für uns pflückte. Alles schmeckte gut, und satt wurden wir auch. Elfrida war eine gutherzige, rundliche kleine Alte, die dort ganz allein mit ihren Ziegen und einer grauen Katze wohnte.
»Ja, Gott sei Dank, ich wohne nicht hinter Mauern«, sagte sie. Sie kannte viele Menschen im Heckenrosental und erkundigte sich, ob sie noch lebten. Jonathan mußte erzählen. Er war traurig dabei, denn das meiste, was er berichtete, mußte der alten Elfrida weh tun.
»Daß es den Menschen im Heckenrosental so erbärmlich geht!« sagte Elfrida.
»Verflucht sei Tengil! Und verflucht sei Katla. Alles wäre erträglich, wenn er nur nicht Katla hätte!«
Sie schlug die Schürze vor die Augen, sicherlich weinte sie. Ich konnte es nicht mit ansehen und ging deshalb in den Wald, um noch mehr Erdbeeren zu suchen. Jonathan aber blieb bei Elfrida und sprach noch lange mit ihr. Während ich Erdbeeren pflückte, grübelte ich. Wer war Katla? Und wo war Katla? Wann würde ich es erfahren? Mit der Zeit gelangten wir an den Fluß. Es war während der schlimmsten Mittagshitze. Wie eine Feuerkugel stand die Sonne am Himmel, und auch das Wasser glitzerte und blinkte wie von tausend kleinen Sonnen. Wir standen oben auf dem Hochufer und sahen den Fluß tief unter uns. Welch ein Anblick! Der Fluß Der Uralten Flüsse raste auf den Karmafall zu, daß der Gischt nur so sprühte; mit seinen gewaltigen Wassermassen brauste der Fluß dahin, und wir hörten in der Ferne den Fall tosen. Wir wollten zum Fluß hinunter, um uns abzukühlen. Grim und Fjalar ließen wir im Wald umherlaufen und sich einen Bach zum Trinken suchen. Wir aber wollten im Fluß baden. Wir liefen die Böschung hinab und rissen uns schon im Laufen die Kleider vom Leib. Unten am Ufersaum wuchsen Weiden. Ein Baum reckte seinen Stamm weit über den Fluß, so daß die Äste ins Wasser hingen. Wir kletterten auf den Stamm, und Jonathan zeigte mir, wie ich mich an einen Ast festklammern und in das wirbelnde Wasser tauchen konnte.
»Aber halt dich fest«, sagte er, »sonst kommst du schneller zum Karmafall, als dir lieb ist.«
Und ich klammerte mich so fest, daß meine Knöchel weiß wurden, schaukelte an dem Ast und ließ das Wasser über mich hinwegspülen. Herrlicher habe ich wohl nie gebadet und auch nicht gefährlicher. Ich spürte den Sog des Karmafalles am ganzen Körper. Dann zog ich mich wieder auf den Stamm hoch, Jonathan half mir dabei, und danach hockten wir in der Baumkrone wie in einem grünen Haus, das über dem Wasser schwebt. Der Fluß hüpfte und tollte gerade unter uns. Er wollte uns wohl wieder hinunterlocken und uns glauben machen, er sei gar nicht so gefährlich. Aber ich brauchte nur die Zehen einzutauchen, dann spürte ich diesen Sog, der mich mitreißen wollte. Wie wir da so saßen, blickte ich zufällig die Böschung hinauf und erschrak. Dort oben kamen Reiter, Tengilsoldaten mit langen Speeren. Sie kamen im Galopp, aber wir hörten sie nicht, denn das Rauschen des Wassers übertönte das Klappern der Hufe. Auch
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