Die Brüder Löwenherz
Verräter zu nennen, der es nicht ist. Aber du bist wohl zu klein, um ganz zu verstehen, was du da gesagt hast.«
Und Hubert? Er lachte nur leise vor sich hin.
»Und ich dachte, ich bin der Verräter«, sagte er.
»Weil ich doch zuviel weiß und so gern Schimmel mag, oder was du da auf dem Reiterhof an die Küchenwand geschrieben hast.«
»Ja, Karl, du wirfst mit Beschuldigungen nur so um dich«, sagte Sophia streng. »Jetzt ist es aber genug!«
»Hubert, ich bitte dich um Verzeihung«, sagte ich.
»Na, und Jossi?« fragte Sophia.
»Nein, ich bitte nicht um Verzeihung, wenn ich einen Verräter einen Verräter nenne«, sagte ich. Aber sie wollten mir einfach nicht glauben. Es war schrecklich, dies zu erkennen. Sie wollten mit Jossi weiterreiten. Sie wollten ihr eigenes Unglück, wie sehr ich es auch zu verhindern suchte.
»Er lockt euch in eine Falle«, schrie ich. »Ich weiß es! Ich weiß es! Fragt ihn doch nach Veder und Kader, mit denen er sich oben in den Bergen trifft! Und fragt ihn danach, wie er Orwar verraten hat!«
Wieder wollte sich Jossi auf mich stürzen, doch er beherrschte sich.
»Wollen wir nun endlich weiter?« fragte er. »Oder wollen wir wegen der Lügen dieses Jungen alles aufs Spiel setzen?«
Er warf mir einen haßerfüllten Blick zu.
»Und dich hab’ ich einmal gern gehabt«, sagte er.
»Einmal hab auch ich dich gern gehabt«, erwiderte ich. Ich sah ihm an, daß er Angst hatte. Die Zeit drängte wirklich für ihn, er mußte dafür sorgen, daß Sophia festgenommen und eingesperrt wurde, bevor sie die Wahrheit erkannte. Denn dann galt es sein Leben. Wie erlöst er sein mußte, daß Sophia die Wahrheit nicht hören wollte. Sie vertraute ihm, das hatte sie seit eh und je getan. Und ich war jemand, der bald den einen und bald den ändern bezichtigte, wie hätte sie mir auch glauben können?
»Karl, komm jetzt«, sagte sie, »wir beide sprechen uns noch später.«
»Wenn du jetzt mit Jossi reitest gibt es kein Später!« rief ich. Und ich weinte. Nangijala durfte Sophia nicht verlieren! Hier stand ich hilflos und konnte sie nicht retten. Weil sie nicht gerettet werden wollte.
»Karl, komm jetzt«, wiederholte sie nur eigensinnig. Da fiel mir etwas ein.
»Jossi«, rief ich, »knöpf dein Hemd auf und zeig, was du auf der Brust hast!«
Jossi wurde kreidebleich, selbst Sophia und Hubert mußten es merken, und er legte die Hand über die Brust, als wolle er etwas verbergen. Eine Weile war es ganz still. Aber dann sagte Hubert mit barscher Stimme: »Jossi, tu, was der Junge sagt!«
Sophia stand stumm da und sah Jossi an. Er wandte den Blick ab.
»Wir haben es doch eilig«, sagte er und ging auf sein Pferd zu. Sophias Blick wurde hart.
»Nicht so eilig«, sagte sie. »Ich bin die Anführerin, Jossi, zeig mir deine Brust!«
Es war schrecklich, Jossi jetzt zu sehen. Schwer atmend stand er dort, wie gelähmt und voller Angst, und wußte nicht, ob er fliehen oder bleiben sollte. Sophia ging auf ihn zu, da stieß er sie mit dem Ellbogen weg. Das aber hätte er nicht tun sollen. Sie packte ihn mit festem Griff und riß sein Hemd auf. Und dort auf seiner Brust war das Katlazeichen. Ein Drachenkopf war es, er schimmerte wie Blut. Sophia wurde noch bleicher als Jossi.
»Verräter!« rief sie. »Verflucht seist du und das, was du Nangijalas Tälern angetan hast!«
Im selben Augenblick kam Leben in Jossi. Mit einem Fluch stürzte er zu seinem Pferd. Aber Hubert war vor ihm da und trat ihm entgegen. Jossi machte kehrt und suchte verzweifelt nach einem ändern Fluchtweg. Und er sah das Ruderboot. Mit einem einzigen Satz sprang er hinein, und ehe Sophia und Hubert ihn fassen konnten, hatte die Strömung ihn schon außer Reichweite getragen. Da lachte er, es war ein gräßliches Lachen.
»Dich, Sophia, werde ich bestrafen!« schrie er. »Wenn ich als Häuptling des Kirschtals zurückkehre, dann strafe ich dich hart!«
Du armer Tor, nie wieder kommst du ins Kirschtal, dachte ich. Zum Karmafall kommst du und nur dahin. Er versuchte zu rudern, doch wilde Wogen und Strudel packten das Boot und warfen es wie einen Ball hin und her, um es zu zerschmettern. Die Ruder entrissen sie ihm. Dann schleuderte eine Sturzwelle ihn selber ins Wasser. Da weinte ich und wollte ihn retten, obwohl er ein Verräter war. Aber für Jossi gab es keine Rettung mehr, das wußte ich. Schrecklich war es und traurig, dort in der Dämmerung zu stehen und zuzusehen und zu wissen, daß Jossi allein und
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