Die Brüder Löwenherz
mit seinem Trog zwischen den Heckenrosenbüschen. Ich schaute aufgeregt umher, ich sollte ja Wache halten. Und da sah ich auch etwas anderes. Dodik, den Fettwanst Dodik, der auf einer Strickleiter, das Hinterteil mir zugewandt, von der Mauer heruntergeklettert kam.
Hat man Angst fällt einem das Pfeifen schwer, es klang also nicht sonderlich gut.
Trotzdem brachte ich die Melodie einigermaßen zustande, und schnell wie ein Wiesel huschte Matthias ins nächste Heckenrosengebüsch. Doch da war Dodik auch schon bei mir. »Weshalb pfeifst du hier?« brüllte er.
»Weil... weil ich es gerade heute erst gelernt habe«, stotterte ich. »Früher hab ich nämlich nicht pfeifen können, und heute konnte ich es mit einemmal. Willst du es hören?« Ich fing wieder an, aber Dodik hielt mir den Mund zu. »Pst, still«, befahl er.
»Ich weiß zwar nicht, ob pfeifen verboten ist, aber möglich ist es ja. Ich glaub kaum, daß Tengil damit einverstanden wäre. Außerdem sollst du die Tür geschlossen halten, verstanden?«
»Mag Tengil denn nicht, daß die Tür offensteht?« fragte ich. »Das geht dich gar nichts an«, sagte Dodik. »Tu, was ich dir sage. Aber zuerst gib mir eine Kelle Wasser. Ich muß da oben auf der Mauer auf und ab traben, bis ich fast verdurste.«
Blitzschnell überlegte ich: Wenn er jetzt mit in die Küche kommt und Matthias nicht dort findet, was geschieht dann? Der arme Matthias, Todesstrafe für jeden, der nachts draußen ist, das hatte ich nun oft genug gehört.
»Ich hol es dir«, sagte ich rasch. »Bleib hier stehen, ich hole dir Wasser.«
Ich lief hinein und tastete mich in der Dunkelheit bis zur Wassertonne, ich wußte ja, in welcher Ecke sie stand. Auch die Schöpfkelle fand ich und füllte sie mit Wasser. Da merkte ich, daß jemand hinter mir stand, ja, dort im Dunkeln dicht hinter meinem Rücken stand jemand, und etwas Unheimlicheres hatte ich kaum erlebt.
»Mach Licht«, befahl Dodik. »Ich möchte mir angucken, wie es in so einem Dreckloch aussieht.«
Mir zitterten die Hände, ich schlotterte am ganzen Leibe, aber schließlich gelang es mir, die Kerze anzuzünden. Dodik nahm die Schöpfkelle und trank. Er trank und trank, er war wie ein Faß ohne Boden. Dann warf er die Kelle zu Boden und sah sich mit seinen widerlichen Schweinsaugen mißtrauisch um. Und dann fragte er genau das, worauf ich schon die ganze Zeit gewartet hatte.
»Dieser alte Matthias, der hier wohnt, wo steckt der denn?« Ich antwortete nicht.
Ich wußte nicht, was ich antworten sollte.
»Hörst du nicht, daß ich dich was frage?« sagte Dodik. »Wo ist Matthias?«
»Er schläft«, sagte ich. Etwas mußte ich mir ja einfallen lassen. »Wo?« fragte Dodik.
Neben der Küche lag eine kleine Kammer, und darin stand Matthias’ Bett, das wußte ich. Ich wußte aber auch, daß er dort jetzt nicht schlief. Trotzdem zeigte ich auf die Kammertür und sagte: »Dort!«
Ich piepste es hervor, so daß es kaum zu hören war. Es klang wirklich jämmerlich, und Dodik lachte höhnisch. »Lügen tust du nicht besonders gut«, sagte er. »Na, dann wollen wir mal nachsehen!«
Er grinste zufrieden, er wußte, daß ich log, und wollte Matthias wohl gern der Todesstrafe ausliefern, vielleicht, um von Tengil gelobt zu werden, was weiß ich.
»Gib mir die Kerze«, sagte er, und ich gab sie ihm. Ich wollte wegstürzen, zur Tür hinaus, zu Matthias laufen und ihm sagen, er müsse fliehen, bevor es zu spät sei.
Aber ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich stand stocksteif da, und mir war übel vor Angst.
Dodik merkte es, und er genoß es. Er ließ sich Zeit, ja er grinste und zögerte absichtlich, damit ich noch mehr Angst bekäme. Doch als er lange genug gegrinst hatte, sagte er: »Los mein Bürschchen, jetzt zeig mir mal, wo der alte Matthias schläft.«
Er riß die Kammertür auf und stieß mich hinein, so daß ich über die hohe Schwelle stolperte und hinschlug. Gleich darauf zerrte er mich wieder hoch und stand mit der Kerze in der Hand vor mir.
»Du Lügner, zeig ihn mir!« sagte er und hob die Kerze hoch, um besser sehen zu können.
Ich wagte nicht, mich zu rühren und aufzusehen, am liebsten wäre ich in den Boden versunken, oh, wie verzweifelt ich war.
Doch da hörte ich Matthias’ verärgerte Stimme: »Was ist denn? Kann man nicht mal nachts in Ruhe schlafen?«
Ich blickte auf und sah Matthias, wahrhaftig, er saß dort in seinem Bett im dunkelsten Winkel der Kammer und blinzelte ins Licht. Er trug nur ein Hemd, und
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