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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Konfliktlösung nicht mehr infrage.«
    »Erzähl das der Royal Cavalry«, meinte Bertrand. »Sie führen in Sussex groß angelegte Manöver durch und üben den Angriff mit der Lanze. Was würde eine solche Taktik rein technisch bedeuten?«
    »Tja«, meinte Sverre. »Man benötigt keine sonder­lichen technischen Kenntnisse, um diese Frage zu be­antworten, nur etwas Fantasie. Die Kavallerie gehört ins 19. Jahrhundert, tapfere Angriffe über offenes Feld auf die schweren Kanonen des Feindes zu, nun, ihr kennt alle diese Gemälde. Heute würden Maschinengewehre jeden Reiter aufhalten. Wirklich jeden. Aus diesem Grund ist Krieg undenkbar.«
    »Aber liegt nicht Frankreich gewissermaßen im Weg, wenn die Deutschen uns besetzen wollen?«, wandte Vir­ginia ein und bedauerte die Bemerkung, als sie die nachsichtigen Blicke der Männer sah.
    »Wir sind mittlerweile mit Frankreich gegen Deutschland verbündet, wie seltsam einem das auch vorkommen mag«, meinte Roger Fry väterlich. »Und die Franzosen wünschen einen Krieg mit Deutschland, sie wollen Elsass-Lothringen zurückgewinnen, das sie 1871 verspielt haben. Das lässt sich nachvollziehen, aber nicht, warum England sie dabei unterstützen soll.«
    Schon zu Beginn des Abends war die Stimmung in der Runde recht schlecht gewesen. Man vergnügte sich nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit des Homo ludens, des spielenden Menschen. Die Donnerstage waren normalerweise Gesprächen über Freundschaft, Kunst und verschiedene Arten der Sexualität geweiht. Kriegerische Themen wie Maschinenpistolen und die ruhmreiche englische Kavallerie waren deplatziert und unbehaglich, und die Unterhaltung lief nur noch schleppend und spaltete den Freundeskreis auf eine ungewöhnliche Weise in ein männliches und weibliches Lager.

VIII – Frühlingsopfer
    Paris 1913
    Das erste Bild oder, vielleicht besser, der erste Akt: Eine Gruppe fast nackter Jünglinge tanzt um eine alte Frau herum, die ihnen geduckt wie ein gejagtes Stück Wild zu entkommen oder sie in die Irre zu locken sucht, das ist nicht ganz ersichtlich. Vermutlich soll sie den Tod in der Natur symbolisieren, der dem Erwachen des Frühlings vorausgeht. Die Jünglinge haben sie umzingelt, wollen sie aber nicht töten, der ruhige Takt lässt an den Herzschlag denken, in diesem Fall den Herzschlag des Frühlings.
    Jetzt kommen die in Schleier gehüllten jungen Frauen, die trotz ihrer Kleidung nackt wirken, vom Fluss herauf. Sie bilden einen Ring, der langsam, unschuldig, in den der Jünglinge übergeht, ohne Erregung, ohne erkennbares Begehren, die Musik ist tranquillo .
    Die Sinnlichkeit der jungen Frauen ist noch nicht erwacht, sie gleichen Bäumen oder Pflanzen vor dem Mysterium der Befruchtung. Sie nähern sich den Jünglingen und ziehen sich dann plötzlich rasch wieder zurück, scheu oder noch nicht bereit, das Ganze hat etwas Verspieltes (molto allegro).
    Der Rhythmus verändert sich, wird pochender. Die jungen Männer trennen sich von den Frauen und beginnen ein aggressiveres Spiel, das in einen Kampf zwischen Mann und Frau übergeht, offenbar eine Darstellung spielerischer Aggression beginnender Erotik.
    Eine sich nähernde Prozession ist nun zu hören, erst fern, dann näher. Es ist der Weise, der nun auftritt, der älteste Medizinmann oder Druide des Stammes. Die jungen Menschen sinken vor Entsetzen zu Boden.
    Der Weise segnet den Boden (lento) , liegt wenig später mit ausgestreckten Armen und Beinen da und vereinigt sich mit der Erde.
    Die jungen Leute kauern sich zusammen, doch bald beginnen sie sich langsam in kreisenden Bewegungen wie das Grün, das aus dem Boden sprießt, zu erheben. Sie sind die neue Kraft der Natur, die tanzende Erde (prestissimo) .
    Das Vorspiel des zweiten Teils (largo) schildert die heidnische Nacht anhand eines rhythmisch-pulsierenden, langsamen Gesangs, der sich mit gewissen Variationen wiederholt und dann in einen schattenähnlichen Tanz übergeht (andante con molto), während die jungen Frauen langsam den Auserwählten einkreisen, sodass er ihnen nicht entkommen kann.
    An dieser Stelle ungefähr begann das Publikum des Théâtre des Champs-Élysées aufzubegehren. Bereits vorher war es unruhig geworden, man hatte gepfiffen und lautstark Kommentare gerufen, aber jetzt wurde es richtig laut. Ein Teil der Zuschauer forderte, dass die Vorstellung abgebrochen werde. Andere wollten die Störenfriede zum Schweigen bringen. Nach einer Weile beruhigte sich das Auditorium. Die Vorstellung ging

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