Die Brueder
blickte ihm nach und hoffte, dass er sich umdrehen und winken würde. Was er denn auch mit ausufernder und gefühlvoller Gestik tat, bevor der Wagen auf dem Weg zum Tor hinter der großen Eiche verschwand. Albie stellte sich im Wagen hin und winkte mit beiden Armen wie ein Ertrinkender.
*
Zu Sverres neuen Gewohnheiten als einsamer Gentleman im Ingenieurshaus gehörte bald, am Afternoon Tea der Schwestern Penelope und Margrete und Mrs. Jones, dem ehemaligen Fräulein Gertrude, oben im Schloss teilzunehmen. Der Diplomingenieur aus Dresden, der außerdem Norweger war und alles über die Wikinger wusste, stellte eine deutliche Bereicherung der täglich stattfindenden deutschen Konversationsübung dar, in der Wikinger auch schon vorher eines ihrer vielen der Zeit verpflichteten Gesprächsthemen gewesen waren. Nun konnten sie sich alles aus berufener Quelle bestätigen lassen.
Sverre hatte dieser ganze Wikingerunsinn bereits während seines zweiten Jahres in Dresden tödlich gelangweilt, was er sich den Damen gegenüber natürlich nicht anmerken ließ. Er bestätigte, was sich bestätigen ließ, und korrigierte vorsichtig die schlimmsten Irrtümer über Berserker, Fliegenpilze und die Tradition, Greise von schroffen Felsen zu stürzen, wenn sie nicht mehr produktiv zur Gemeinschaft beitragen konnten. Aus dem einen ergab sich rasch das nächste. Er brachte einen Skizzenblock mit zu den Treffen und zeichnete Wikingerornamente, Schiffe, Waffen und Trachten, zum Scherz fertigte er kleine Karikaturen der Damen in Wikingertracht an, was auf größeren Anklang stieß, als ihm lieb war. Denn jetzt drängten sie darauf, das Porträt Albies zu sehen, über das sich ihr Bruder geheimnisvoll und begeistert geäußert hatte. Die drei Damen luden sich ins Ingenieurshaus ein, um das Gemälde anzuschauen. Er versuchte es mit der Ausrede, er sei noch nicht recht zufrieden, das Porträt sei alles andere als fertig, aber das half natürlich nicht. Die jungen Damen waren es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. Lady Penelope rief James und befahl, den Afternoon Tea des nächsten Tages in der Ingenieursvilla zu servieren. James zog sich mit einem »Excellent, Mylady« zurück, somit stand die Sache fest.
Früh am nächsten Morgen begann Sverre damit, das Porträt umzuarbeiten, da sein Bild von Albie sicher nicht dem seiner Schwestern entsprach.
Er hängte das Gemälde im langen Galeriegang auf, der im Untergeschoss an der Rückseite der Ingenieursvilla verlief. Einstweilen war dieser Teil des Gebäudes noch leer und verlassen, eine weiße Wand auf der einen Seite, Glas auf der anderen. Dieser Ort war für Kunstausstellungen wie geschaffen, jetzt, wo keine exotischen Pflanzen mehr darin standen.
Als das Nachmittagslicht durch die Fenster fiel, ging er zu dem Gemälde hinunter und betrachtete es lange, bis er das Porträt für neutral genug befand, dass nichts mehr zu erkennen war, was die Damen des Hauses hätte verstören können. Das Porträt ähnelte Albie, wie eine Fotografie ihrem Objekt ähnelt.
Irgendwann nahmen die Dienstboten die Küche ein und begannen den Afternoon Tea vorzubereiten. Auf Sverres Anweisung hin, seiner ersten in Manningham, deckten sie oben im Herrenzimmer und nicht in dem nüchternen Esszimmer.
Wo der Tee getrunken und die Sandwiches und frisch gebackenen Scones verzehrt wurden, war nebensächlich, die Damen erschienen Punkt drei Uhr, um sich das Werk anzusehen. Sie bewunderten es unter andächtigem Schweigen, ehe sie sich dazu äußerten. Dann folgten aufrichtige Ausrufe des Lobes und der Begeisterung.
Die Konsequenz war unvermeidlich. Lady Margrete und Lady Penelope bestellten unverzüglich je ein Porträt bei ihm.
Sie waren neunzehn und siebzehn Jahre alt und hatten somit gerade das heiratsfähige Alter erreicht. Da sie nun einmal Albies Schwestern und außerdem Ladys waren, gab es nur eine Antwort: dass er diesen Auftrag mit größter Freude übernehmen würde.
Jetzt stellte sich jedoch die Frage, wie sie dargestellt werden wollten. Die Frauen auf den bereits im Haus hängenden Porträts wurden in der Regel sitzend auf einer Couch oder in einem großen Sessel abgebildet und trugen Seidenkleider mit ausladenden Röcken, deren Wiedergabe je nach Gusto ein Albtraum oder eine spannende technische Herausforderung war. Wollten Albies Schwestern so gemalt werden?
Schon wieder schien er in die Kunstfalle gegangen zu sein, genau wie damals bei Frau Schultze in Dresden, als man ihn in die Massenproduktion für
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