Die Brueder
verfaulten Gemüses Zutritt zum Theater zu verschaffen, aber an der Tür abgewiesen wurde. Die Polizisten, die dabei behilflich waren, begegneten dem Marquis zwar ausgesucht höflich, aber sehr resolut.
So hätte es bis zur Ermüdung aller, einschließlich des Marquis, weitergehen können. Das nahmen zumindest die Bohemiens um Oscar Wilde einschließlich des Autors der Erzählung, Albie, an. Aber sie unterschätzten sowohl die List als auch die Entschlossenheit des Marquis.
An diesem Punkt musste Sverre abrupt die Lektüre unterbrechen. Seines anfänglichen Misstrauens zum Trotz hatte ihn der Text so gefesselt, dass er alles um sich herum vergessen hatte. Der dramatische Boulevardroman berührte Albie in seinem tiefsten Wesen, und nichts hätte Sverre wichtiger sein können. Während des Lesens war ihm jegliches Zeitgefühl abhandengekommen, was ihm erst auffiel, als er die Leselampe einschalten musste.
In zehn Minuten musste er sich zum Abendessen im Schloss einfinden, und er war noch nicht umgezogen. Um sich nicht zu verspäten, musste er auf die Rasur verzichten, aber seine hellen Bartstoppeln waren im Unterschied zu Albies dunklen ohnehin kaum zu sehen. Da es kein Feiertag war, musste er nur einen Smoking tragen, der sich bedeutend schneller anziehen ließ als ein Frack.
Pünktlich und nicht einmal sonderlich außer Atem betrat er den Salon, in dem der Aperitif serviert wurde. Während des Essens – Schildkrötensuppe, gedünsteter Lachs, Kidney Pie, Feigen in Cognac – drehte sich die Unterhaltung hauptsächlich um die Porträts von Margrete und Penelope. Ihre Mutter, Lady Elizabeth, bevorzugte die übliche Pose, in großer Gala auf einer Couch. Die beiden Mädchen waren noch unentschlossen und diskutierten eifrig, ob sie sich auf konventionelle oder vielleicht ganz neue, moderne Weise malen lassen sollten. Vor dem Stall in Reithosen? Oder während des Federballspiels?
Gegen letztere Variante legte die Großmutter ein entschiedenes Veto ein.
Ein Buch lesend in der Bibliothek? Margretes Vorschlag weckte keinerlei Begeisterung, da Bücher nicht sehr feminin waren. Margrete wandte ein, dass Frauen schließlich auch Bücher läsen. Und warum wurden Frauen immer nur gefällig dargestellt, als hätten sie keine eigenen Gedanken oder keinen eigenen Willen?
Aber wie sollte sie sich für ein Bild kleiden, auf dem sie ein Buch las? Sie könne doch wohl kaum einen Morgenmantel tragen, wie sie es beim Lesen gerne tat, wandte ihre Mutter ein.
Margrete erwiderte provokant, dass sie sich das durchaus vorstellen könne. Ein solches Bild sei viel wahrhaftiger. So würde zumindest nicht der Eindruck entstehen, sie säße einem Künstler Modell, dessen einzige Aufgabe darin bestehe, sie als gute Partie erscheinen zu lassen!
Darüber entbrannte ein Streit. Allerdings ohne laute Stimmen oder Unterbrechungen, sondern kultiviert, geordnet und diszipliniert. Ein Streit unter adligen Damen, ohne Aggression, aber mit Ironie. Sverre sah fasziniert zu, ein solches Schauspiel hatte sich ihm während seiner bald vier Monate in Manningham House noch nicht geboten.
Margrete musste, was den Morgenmantel betraf, schließlich nachgeben. Die Mehrheit der Anwesenden hielt dies auf einem Porträt für ein zu intimes, wenn nicht gar skandalöses Kleidungsstück. Vielleicht hatte Margrete den Morgenmantel nur aufgegriffen, um sich einen taktischen Rückzieher zu ermöglichen. Sie beharrte darauf, ein Buch lesen zu wollen, gerne in formeller Alltagskleidung mit hochgeschlossener Bluse ohne jeden Hauch von Erotik.
Die Großmutter war ob letzter Bemerkung entsetzt. Sverre glaubte zu verstehen, was Margrete beabsichtigte. Ein kühner Gedanke – die Darstellung der inneren, intellektuellen Schönheit erforderte Sorgfalt. Er fand das sehr einleuchtend. Aber niemand bei Tisch fragte ihn nach seiner Meinung, als sei er kein Gast mehr, sondern ein Auftragsmaler, der auf Bestellung liefern sollte.
Nicht ganz unerwartet, zog Penelope die übliche Pose im Salon in großer Gala mit langen Handschuhen vor.
Auf dem Weg zurück zur Ingenieursvilla kämpften zwei Seelen in Sverres Brust. Sein eines Ich stellte sich vor, Margretes Revolte so darzustellen, dass nur sie selbst es sehen konnte, nicht aber die anderen. Mit diesem Porträt wollte er sofort nach dem Mittagessen am nächsten Tag beginnen. Ihre jüngere Schwester Penelope musste erst noch ein ausreichend ausdrucksvolles Kleid beschaffen, wofür eine Reise nach London erforderlich
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