Die Brueder
der Kaigaten, der Prachtstraße mit den größten Häusern und der schönsten Aussicht, gezeigt. Und sie waren alle drei gleichermaßen entzückt den Hang zur nahe gelegenen Allégaten hinaufgegangen und hatten den Handwerkern dabei zugesehen, wie sie die letzten Renovierungsmaßnahmen an dem Haus, in dem das frisch verheiratete Paar Lauritzen bald höchst standesgemäß wohnen würde, durchführten.
Sverre war glücklich gewesen, wie von einer heimlichen Last, der Schande, die er mit aller Anstrengung verborgen oder verdrängt hatte, befreit.
Plötzlich sah die Wirklichkeit anders aus. Dass er sich der, zumindest nach Lauritz’ Ansicht, heiligen Pflicht der Brüder, nach Norwegen zurückzukehren und sich auf der Hardangervidda abzurackern, entzogen hatte, hatte letztendlich doch keine fatalen Folgen gehabt. Es war also richtig und nicht nur halb richtig gewesen, den Weg einzuschlagen, den seine Gefühle ihm gewiesen hatten, und sich für die Kunst und die Liebe zu entscheiden, statt sich im Schweiße seines Angesichts protestantisch abzurackern.
Es war fast eine Ironie des Schicksals, dass Oscar auf ähnliche Weise seinen Pflichten entflohen war. Andernfalls wäre er nicht reich geworden, und Lauritz hätte weder den Sieg bei der Kieler Woche oder die Ingenieurbaufirma, die Villa in der Allégaten noch seine Ehefrau Ingeborg errungen.
Je länger sie sich in dem Restaurant mit der schönen Aussicht über diese Sache unterhielten, desto fröhlicher wurden sie, während das Licht über dem Meer und im Hafen verblasste.
Margie erdreistete sich sogar, über die Religion zu scherzen. Die Situation sei nicht ohne erheiternde christliche Symbolik. Lauritz, der tiefgläubige Christ, empfinde den wunderbaren Wendepunkt in seinem Leben als etwas Selbstverständliches und Wohlverdientes. Die Belohnung des allergnädigsten Chefs über die Menschheit. In diesem Punkte war an der christlichen Logik nichts auszusetzen: Lauritz war gut und moralisch. Seine beiden Brüder waren nachlässige Egoisten und ebenso wankelmütig im Glauben wie in der Moral.
Die beiden weniger guten Brüder eilten in die Welt und ließen den guten Lauritz zurück, der in Stürmen, unter Lebensgefahr und ohne Hoffnung auf Belohnung einen scheinbar unmöglichen Kampf um die Liebe ausfocht.
Und dafür durch eine göttliche Laune über alle Maßen belohnt worden war.
Margie hatte bereits als Jugendliche in der Klosterschule, als man ihr den Glauben hatte einbläuen wollen, gefunden, dass das eine seltsame Religion war. So müsse man doch überlegen, fuhr sie fort, ob der strenge, ältere Bruder nicht überhaupt dankbar sein müsse, dass seine jüngeren Brüder ihrer heiligen Pflicht nicht nachgekommen seien. Denn hätten sich alle drei in derselben christlich-moralischen Gesinnung auf der Hardangervidda abgerackert, hätte Lauritz weder Gold noch Ingeborg gewonnen.
Margies zynische Überlegungen erheiterten Sverre zwar, aber dennoch musste er einwenden, dass sein ältester Bruder allen Ernstes glaube, dass Albie und er aufgrund ihrer Liebe zur Hölle verurteilt seien. Das könne man nicht ignorieren. Was allerdings nicht Sverres Erleichterung schmälerte. Lauritz und seine Religion konnten ihm gestohlen bleiben, aber von einer moralischen Schuld konnte jetzt jedenfalls keine Rede mehr sein. Es bestand also die Möglichkeit, sich mit Mutter Maren Kristine zu versöhnen.
Der Besuch der Ausstellung nationalromantischer norwegischer Kunst fiel kürzer als geplant aus, da ihr Dampfer zur Mittagszeit ablegte.
Gemälde Adolph Tidemands und Hans Gudes, beide Albie und Margie unbekannte Maler, dominierten die Ausstellung. Gudes Landschaften gefielen ihnen, insbesondere die Motive der Gebirgswelt, die sie erst kürzlich verlassen hatten. Aber Tidemands fromme, zur Andacht versammelte Bauern, ein immer wiederkehrendes Motiv, taten sie als den geradezu lächerlichen Ausdruck eines überholten Nationalismus ab. Das verärgerte Sverre, der den beiden die Ursachen des norwegischen Nationalismus zu erklären suchte. Norwegen war bei seiner Entstehung noch unfrei gewesen, die norwegische Selbstständigkeit lag schließlich nur wenige Jahre zurück. Als Albie daraufhin wieder auf sein Lieblingsthema zu sprechen kam, die Unabhängigkeit der Kunst von der Politik, war es angezeigt, die Diskussion abzubrechen und zum Dampfer zu eilen.
Jetzt saßen sie im Erste-Klasse-Salon der Ole Bull auf harten, ledergepolsterten Bänken zwischen englischen und deutschen Touristen
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