Die Brueder
durchschnittlichen Athleten in Sandows Trainingsinstitut in der St. James’s Street, Sverre natürlich kantiger, athletischer, Albie harmonischer, eleganter, was laut Sverre viel schöner war, da Eleganz Kraft immer aussteche.
Als der Abreisetag endlich angebrochen war, verspürte Albie kein sonderliches Bedauern darüber, obwohl er es schon als ziemlich heroisch empfunden hatte, in der Kälte Modell zu stehen.
Die Reise begann mit einer zehnstündigen Wanderung nach Hallingskeid, wo sie in einer der Arbeiterbaracken übernachten würden, falls es im Ingenieurshaus keinen Platz gab.
Die Wanderung gestaltete sich recht undramatisch, da das Wetter weder gut noch schlecht war. Gelegentlich schien die Sonne, manchmal nieselte es etwas, und die Temperatur betrug 7 Grad. Sverre und Albie trugen schwere Rucksäcke mit Rentierfellen, was sich im Nachhinein als unnötige Mühsal erwies. Aber obwohl das Risiko eines Schneesturms um diese Jahreszeit gering war, durfte man sich nicht ohne Schutzausrüstung ins Gebirge begeben, da man sonst sein Leben riskierte.
Hallingskeid, ein Ortsname, den weder Margie noch Albie aussprechen konnten, war von einer Steinwüste umgeben. Es lag kein Schnee, und es gab keinerlei Vegetation. Das Ingenieurshaus wirkte solide mit robusten Granitmauern im Erdgeschoss und Blockhausbauweise im Obergeschoss. Die Köchin, die aus der Arbeiterbaracke herübergekommen war, um das Abendessen zuzubereiten, erzählte, dass die Ingenieure zurzeit Ferien hätten. Gleise verlegen war eine eintönige Arbeit, die die Vorarbeiter bewältigten, ohne dass ihnen ein Ingenieur unentwegt über die Schulter schauen musste. Kurz bevor sie ging, teilte sie noch mit, dass einige der vorausgesandten Weinflaschen unglücklicherweise unter Pferdehufe geraten seien, der Rest stehe in der Speisekammer. Das Essen könne auf dem Holzherd aufgewärmt werden. Dann schlug sie rasch, geradezu fluchtartig, die Tür hinter sich zu.
Sverre übersetzte die Mitteilungen und begab sich eilig in die Speisekammer, um sich einen Überblick zu verschaffen, die Verluste hielten sich jedoch in Grenzen. Es gab eine halbe Kiste Weißwein und eine halbe Kiste Rotwein, offenbar war nur der Champagner zu Bruch gegangen. Sie würden das Vergnügen haben, zukünftigen Ingenieuren die üppigen Reste stiften zu können.
Die Möbel im Erdgeschoss waren die reinsten Kunstwerke, was wenig überraschend Sverre als Erstem auffiel. Stühle und Tische waren aus rohem, mit der Axt behauenem Holz der Bergbirke gefertigt. Die sich ihres künstlerischen Talents offenbar nicht bewussten Tischler hatten das Holz in wunderbarsten Variationen zusammengefügt und dabei die natürlichen Formen ausgenützt, um sie beispielsweise für bequeme Armlehnen zu verwenden.
Im Eisenherd brannte ein Feuer und Sverre legte, automatisch und ohne darüber nachzudenken, Holz aus dem Schuppen nach. Auf das Erstaunen der anderen erklärte er, es sei wie eine Rückkehr in die Kindheit, als hätte er noch kürzlich die exakt zum Abendessen nötige Holzmenge in die heimatliche Stube getragen.
Neben der Tür zwischen Diele und Wohnzimmer im Erdgeschoss hing ein Brett, auf dem sich die Bewohner des Hauses verewigt hatten. Sverre deutete schweigend auf den vorletzten Namen: Lauritz Lauritzen.
Dann verschwand er in der Küche, wühlte in einem Werkzeugkasten und kehrte mit einem kräftigen Schnitzmesser zurück. Rasch und mit geübten Bewegungen schnitzte er in wenigen Minuten einige Buchstaben unter den letzten Namen.
Sie sahen aus wie eine Geheimschrift und ließen sich nicht entziffern, wie Albie enttäuscht feststellte.
Runen, erklärte Sverre. Dann las er vor:
»Sverre, Lauritz’ Bruder, schnitzte diese Worte.«
Das Abendessen bestand aus Forelle, Fladenbrot und geräuchertem Rentierfleisch. Albie verkündete, selten so gut gegessen zu haben. Die lange Wanderung hatte sicherlich zu seinem Appetit beigetragen, aber auch das ästhetische Ambiente. Die Maserung des Holzes, das für die Möbel und die grob mit der Axt behauene Tischplatte verwendet worden war, das Rot des Weins im Widerschein der Kerzenflammen im Halbdunkel. Sverre holte seinen Skizzenblock, und sie saßen eine Weile in Gedanken versunken da, während nur das Geräusch des Stiftes auf dem Papier zu hören war.
Im Schlafzimmer im Obergeschoss roch es durchdringend nach Holz und Teer. Waschschüsseln, Waschwasser und Nachttöpfe standen bereit. Die Daunendecken waren auf bauschige Weise riesig.
Ihre
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