Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
das Gespräch an sich
reißen. Crossman hat den Eindruck, dass es bald so weit sein wird, und das beunruhigt ihn.
»Warum hast du mir damals nichts gesagt?«
»Was hätte ich sagen sollen? Dass Gardener dein Vater ist? Das stimmt nicht. Auf keinen Fall nach allem, was er deiner richtigen Mutter angetan hat, und noch weniger nach dem, was du in Seboomook unter ihm leiden musstest. Dir brauche ich ja wohl den psychischen Habitus dieser Art von Mörder nicht zu erklären. Er versucht, durch dich hindurch zu überleben. Er versucht, weiterhin zu töten. Willst du das tatenlos hinnehmen?«
Maria sieht durch das Fenster auf den vom Regen gepeitschten Parkplatz. Die Geländewagen des FBI und Crossmans Limousine stehen vor ihrem Auto. Cyal und Elikan sind ausgestiegen und sehen zu den Beamten in ihren dunklen Anzügen hin. Kano sitzt hinten und liest Holly eine Geschichte vor, doch die Kleine hört nicht zu. Das Gesicht an die Scheibe gepresst, sieht sie zu Maria hinüber. Sie windet sich auf der Sitzbank, sie muss austreten. Wütend sieht Maria zu Kano hin, der weiter vorliest.
»Maria?«
»Ja?«
»Wer sind die Kerle?«
»Freunde, damit meine ich, neue Freunde. Meine alten Kumpel sind Mistkerle, die ich einen nach dem anderen aus der Liste streiche. Ich bin gerade beim Buchstaben C.«
»Ich bin nicht dein Freund, Maria, sondern dein Vorgesetzter.«
»Das warst du. Gleich morgen früh kriegst du meine Kündigung auf den Schreibtisch. Ich arbeite nicht für Mistkerle.«
Crossman merkt, wie Marias Knie unter dem Tisch unruhig zuckt. Ihm ist klar, dass seine Männer nichts ausrichten
können, wenn sich Parks wie Gardener verhält. Er nimmt einen Schluck Kaffee.
»Und die Kleine?«
»Sie hat bei dem Unwetter beide Eltern verloren. Ich bringe sie nach Norden zu ihrer Tante. Die Männer sind ihre Onkel.«
»Und dann?«
»Was und dann?«
»Willst du dich umschulen lassen, als Leibwächterin für … Rotznasen?«
Er beißt sich auf die Unterlippe. Das letzte Wort ist ihm in seiner Wut herausgerutscht. Er achtet auf Parks’ Augen. Gardener lächelt, sie nimmt Fahrt auf. Crossman weiß, wie gefährlich es ist, das eiskalte und grausame Geschöpf zu wecken. In den nächsten Minuten muss er um jeden Preis verhindern, dass Maria erfährt, wer sie nach ihrer Flucht aus der »Krippe« zum Ehepaar Parks gebracht hat, nämlich er selbst. Er kann sich noch genau daran erinnern, wie er ihre kleine Hand hielt, als sie durch das Tor zum Anwesen von Milwaukee Drive gingen. Gardener mustert ihn abschätzig, während sie an Parks’ Zigarette zieht. Auch sie fängt an, sich zu erinnern.
»Maria?«
»Ja?«
»Du hattest gestern in Boston einen Termin für eine Nachbesprechung mit dem Psychotherapeuten. Du kennst die Vorschriften. Nach einem solchen Auftrag hat die Nachbesprechung stets Vorrang.«
»Noch ein Therapeut? Wozu?«
»Um einen mentalen Rückfall von der Art zu verhindern, wie du ihn gerade bekommst. Du weißt genau, dass das schlimmer wird.«
»Spinnst du? Ich erfahre soeben, dass mein Vater ein Ungeheuer war, dass ich drei Mütter hatte, die durch ihn umgekommen
sind, werde daran erinnert, dass ich zwei Jahre lang zehn Meter unter der Erde gelebt habe, und merke, dass mein Vorgesetzter ein Mistkerl ist, der mich seit Jahren benutzt. Ganz davon abgesehen habe ich auch noch Migräne, das ist aber das Wenigste …«
»Ich habe dich nie benutzt.«
»Wie hat das Ganze angefangen?«
»Was?«
»Dein hirnverbrannter Einfall, mich als Vampirjägerin abzurichten. Hat das angefangen, bevor man mich aus der Klapsmühle entlassen hat, oder danach? Vermutlich gleich danach …«
»Maria …«
»Etwa schon vorher?«
Marias Nase weitet sich. Sie nimmt den Geruch wahr, der in Crossmans Anzug hängt, und sieht ihn mit ihren großen grauen Augen kalt an.
»Vétiver …«
»Wie bitte?«
»Dein Eau de Toilette ist Vétiver. Diese Mischung aus Farn und Zitronen. Sie ist mit den meisten meiner Erinnerungen verknüpft. Sie setzen nach der Zeit in der ›Krippe‹ ein. Genau das tue ich, seit ich aus dem Koma aufgewacht bin: Weil es keine Bilder gibt, suche ich nach Gerüchen, die mit meinen Erinnerungen verbunden sind.«
»Ich verstehe nicht.«
»Natürlich nicht, weil du nicht zuhörst. Was ich dir gerade mitteile, ist Folgendes: Falls mich ein Therapeut auffordern würde, drei Gerüche zu nennen, die mit den wichtigsten Augenblicken meines Lebens seit der ›Krippe‹ verbunden sind, würde ich mich für Daddys Zigarren, die
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