Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
dem Augenblick, da die Kugel den Lauf der Glock verließ, um Shelbys Gaumen
zu zerschmettern. Ash verzieht das Gesicht. Es riecht nach Schießpulver und versengtem Fleisch. Eine machtvolle Welle hatte sich in seinen eigenen Neuronen ausgebreitet. Shelbys Geruchsempfindungen und dessen Schmerzen sind in ihn eingedrungen. Eine Nanosekunde länger, und diese Schwingungen würden in seinem eigenen Gehirngewebe toben. Beim bloßen Gedanken daran überläuft ihn ein Zittern. Er wäre im selben Augenblick wie Shelby umgekommen, eine leere Hülle auf dem Rücksitz einer Limousine der Stiftung.
Ash bindet sich den Arm ab und spritzt sich eine Wiederherstellungskombination. Der Schmerz beginnt nachzulassen. Der Geruch nach verbranntem Fleisch allerdings wird ihn noch einige Wochen begleiten. Er bedeutet dem Fahrer, dass es weitergeht. Dann schließt er erschöpft die Augen.
13
Im Chalet, Hauptquartier der Stiftung
Schon seit einer vollen Viertelstunde lässt Brannigan die Anwesenden nicht aus den Augen. Er weiß Bescheid. Niemand merkt, wie er seine Stimme nach einem vorgegebenen Muster hebt und senkt, wobei er genau nach seinen Notizen vorgeht. Zwanzig Minuten stehen ihm für dies riskante Überwachungsspiel zur Verfügung, dann muss er seinen Platz für den neuen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung räumen. Eine Rede voller Reizworte, dazu angetan, Stressreaktionen auszulösen, die zu beherrschen einem verseuchten Gehirn unmöglich ist. Gerade hat Brannigan einige davon in einem einzigen Satz untergebracht. Er lässt eine kurze Pause eintreten. Während er die Anwesenden mustert, entdeckt er auf einigen Gesichtern den Ausdruck
von unterdrückter Panik und Besorgnis. Fragende Blicke kreuzen sich. Er jubiliert innerlich. Endlich haben die überheblichen Trottel begriffen, dass sie nichts sind als Statisten, Marionetten-Vorgesetzte, denen man eine Million Dollar im Jahr zahlt und einen Dienstwagen samt Dienstwohnung zur Verfügung stellt. Jetzt ist ihnen aufgegangen, dass ihre luxuriösen Büros in den schönsten Hauptstädten der Welt nichts als Dekor sind, ein hübsches Aquarium für die wirklich großen Fische, haben sie gemerkt, dass ihre Häuser wie auch ihre Yachten und die Luxuswohnungen, die ihnen die Stiftung an den exklusivsten Wintersportorten der Erde zur Verfügung stellt, voller Abhöreinrichtungen sind. Schon seit Jahren werden sie von den Regulatoren überwacht, die alles über sie wissen: was sie in ihren Privatklubs trinken, mit wem sie verkehren, wovor sie Angst haben und was sie vermissen. Sie kennen jede ihrer Schwächen, all ihre Vergehen – kurz, ihre inhaltslose Existenz liegt offen vor ihnen.
Brannigan sieht zu seinen Regulatoren hinüber. Im Augenblick gibt es nichts Auffälliges. Als Nächstes verwendet er die Begriffe, die dazu angetan sind, Reaktionen der Kombinationen 15 bis 17 auslösen. Es sind die gefährlichsten. Er spricht langsam einen der Sätze nach dem anderen und erinnert die Anwesenden an die verschiedenen Artikel der für den inneren Kreis geltenden Vorschriften, die von den dafür zuständigen Fachleuten kunstvoll umformuliert worden sind.
»Artikel 28 und folgende. Bitte gehen Sie zu den nächsten Artikeln über, die Sie mit Ihrem Blut unterzeichnet haben.«
Wieder richtet Brannigan den Blick auf die Anwesenden. Der eine oder andere Direktor lächelt nervös. Sie halten seine Worte für einen schlechten Scherz. Die meisten blättern eifrig die vierhundert Seiten der Vorschriften
durch. Ein Regulator, der eine ungewöhnliche Bewegung wahrgenommen zu haben glaubt, macht Brannigan unauffällig ein Zeichen. Daraufhin ergreift dieser erneut das Wort: »Artikel 28. Nachstehender Passus wurde geändert, alle übrigen bleiben davon unberührt: ›Die Führungskräfte der Stiftung sind zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet, sowohl auf beruflicher Ebene mit Bezug auf alle Dienstvorgänge, als auch privat. So ist es ihnen strikt untersagt, mit Angehörigen über dienstliche Belange welcher Art auch immer zu sprechen. Außerdem dürfen sie in der Öffentlichkeit keine alkoholischen Getränke oder enthemmende Substanzen zu sich nehmen, in Gewässern schwimmen, in denen sich Haie aufhalten, oder rohes Hundefleisch essen.‹
In Brannigans Ohrhörer ertönt ein Signal. Der Regulator bestätigt, dass die telepathische Schwingung im hinteren linken Viertel des Raums an Intensität zunimmt. Der Leiter der Sicherheitsabteilung hebt den Blick und sieht zu einem Dutzend Direktoren hinüber,
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