Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
deren Klubsessel an einer mit Porträtfotos der Spitzen der Stiftung geschmückten Wand stehen. Äußerlich wirken sie ruhig. Die meisten machen sich Notizen. Manche scheinen aufmerksam zuzuhören.
»Artikel 29. Nachstehender Passus wurde geändert, alle übrigen bleiben davon unberührt: ›Auch die Ehegatten der Führungskräfte der Stiftung sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nach Ansicht der Stiftung ist eine Ehe nicht ratsam, außereheliche Beziehungen sind strengstens untersagt. Direktoren beiderlei Geschlechts haben die Möglichkeit, bei Vorliegen entsprechender Bedürfnisse berufsmäßige Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, dürfen aber unter keinen Umständen eine Beziehung mit Unbekannten eingehen. Sollte ein Partner zufällig Wissen von einem Geheimnis der Gruppe erlangt haben, ist der entsprechende Direktor respektive die Direktorin der Stiftung verpflichtet,
ihn respektive sie aufzuschlitzen und die Eingeweide zu verzehren.‹
Als Brannigan erneut aufblickt, erkennt er in den Augen der meisten den Ausdruck von Abscheu. Andere wirken verständnislos, unangenehm berührt oder auf morbide Weise erregt. Sein Blick verharrt auf dem Gesicht einer attraktiven Blondine von etwa vierzig Jahren im Hintergrund des Raums. Miranda Stern, die für Indonesien zuständige Direktorin der Stiftung. Lächelnd saugt sie seine Worte förmlich in sich auf. Ein Rauschen in Brannigans Ohrhörer. Der Regulator bestätigt, dass die Schwingung aus jenem Bereich kommt.
»Artikel 30 und 31. ›Auch die Kinder der Führungskräfte der Stiftung sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sofern sie noch zu jung sind, um das zu verstehen, haben die Eltern dafür zu sorgen, dass sie keinen Zugang zu Akten solchen Inhalts bekommen. Sollte aber ein Kind auf die eine oder andere Weise dennoch Kenntnis von einer solchen Akte erlangen, kann es in einer Badewanne ertränkt, zerstückelt oder mit einer Plastiktüte erstickt werden‹.«
Der Leiter der Sicherheitsabteilung sieht zu Miranda hin. Sie hat plötzlich Nasenbluten.
»Wie denken Sie darüber, Frau Stern?«
»Ach, wissen Sie, es ist heutzutage so schwer, Kinder zu erziehen.«
Alle Blicke richten sich jetzt auf die attraktive Blondine, deren Stimme mit einem Mal unsicher wirkt. Ihre Nachbarn werden unruhig. Einige lösen ihren Krawattenknoten, andere wischen sich die Stirn.
»Haben Sie selbst welche?«
»Was?«
»Kinder.«
Ein sonderbares Lächeln. »Ja, zwei.«
»Lieben Sie sie?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Kinder sind so entsetzlich schmutzig.«
»Schmutziger als ein Goldfisch?«
»Schmutziger als ein Pudel, wollen Sie wohl sagen. Schmutziger als ein verwurmter Pudel.«
Die Direktoren um Miranda herum stehen auf und treten beiseite. Brannigan setzt das Verhör fort, indem er ihr die Fragen stellt, die ihm sein Spezialist über den Ohrhörer zuflüstert. Damit lenkt er Mirandas Aufmerksamkeit auf sich, während sich die Regulatoren ihr von hinten nähern.
»Wären Sie bereit, sie zu töten?«
»Wen? Meine schmutzigen kleinen Pudel?«
Der Blick der für Indonesien zuständigen Direktorin trübt sich. Man spürt, wie sie kämpft.
»Ich träume jede Nacht davon. Manchmal gehe ich in ihr Zimmer und sehe auf ihre Kehle. Ich träume, dass ich ein Schlachtermesser nehme und sie ihnen im Schlaf durchschneide.«
Entsetzte Schreie erheben sich im Raum, während die herrlichen blonden Haare der Frau weiß werden. Ihr Gesicht schmilzt, ihre Haut dehnt sich und zerläuft wie Wachs. Einer der Regulatoren hält ihr den Lauf seiner Waffe an den Nacken. Miranda fährt sich mit den Händen durch die Haare und starrt auf die Strähnen, die auf ihren Handflächen kleben. Sie hebt den Blick zu Brannigan. Ihre Stimme zittert und wird immer brüchiger.
»Ich … ich verstehe nicht, was hier vor sich geht.«
»Sie sind hier unerwünscht, Mr. Kassam.«
Ein sonderbares Lächeln verzieht Mirandas faltige Lippen. Aus ihrer Kehle dringen die Worte: »Verfluchter Brannigan. Auf jeden Fall habe ich genug gehört.«
Brannigan macht seinem Regulator ein Zeichen. Der Schuss hallt. Dann gibt er seinen Leuten den Auftrag,
Sterns Leiche hinauszuschaffen, und fragt seine Techniker, ob sie die Quelle des Impulses haben orten können. Als er die Antwort über den Ohrhörer bekommt, gibt er auf seinem Mobiltelefon eine Notfallnummer ein.
14
Burgh Kassam liegt gerade ausgestreckt auf dem Bett und holt Luft wie ein Ertrinkender. Sein Herz rast; er muss seinen Puls unbedingt verlangsamen.
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