Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
aus, als er spürt, wie ihre Zähne in die Haut seiner Lippen dringen. Sie erhebt sich und klopft sich den Staub der Bretter von den Hinterbacken.
»Du stinkst mir, Gordon, ehrlich!«
Sie nimmt das Holster und hängt es sich um. Gerade, als sie fortgehen will, ertönt ein Knacken im Unterholz nahe der Hütte. Sie geht in die Hocke und zieht ihre Waffe.
»Was hab ich denn jetzt schon wieder angestellt?«
»Zieh dich an, wir haben Besuch.«
7
Auf der Terrasse eines Cafés in Memphis beobachtet Ash im Schein der Lampen des Peabody Place die Vorübergehenden. Schon den ganzen Tag liegen die normalerweise stark von Touristen frequentierten alten Schaufelraddampfer am Ufer vertäut und zerren an ihren Trossen. Trotz der Fender reiben sich ihre Rümpfe knirschend an der Kaimauer, über die das Wasser jeden Augenblick schwappen kann. Das Unwetter, das New Orleans in Mitleidenschaft gezogen hat, und der unablässig niedergehende Regen lassen den Fluss immer mehr anschwellen. Die Menschen spüren, dass er wütend ist. Er steigt unaufhaltsam an, während sich der Himmel mit verhängnisvoll drohenden schwarzen Wolken bezieht. Die von Fernsehen und Presse verbreiteten Gerüchte verstärken das Unheil noch. Überall,
in jedem Restaurant, jedem Hotel, jedem Haus, bringen die Fernseher unaufhörlich neue Nachrichten, und man hört sie auch aus den Radios der Autos, die auf den Straßen endlose Staus bilden. Irgendetwas, heißt es, rücke aus Süden näher und breite sich aus. Eine Geißel. Darüber sprechen die Leute an Ashs Nebentisch mit leiser Stimme, als handele es sich um ein Geheimnis. Die Menschen auf der Straße werfen einander scheue Blicke zu und sehen dann rasch zur Seite. In ihren Augen liegen Angst und Misstrauen. Mit Mühe unterdrückt Ash ein Lächeln, als er einen beleibten Elvis-Verschnitt über den Platz kommen sieht, der einen Gitarrenkoffer schleppt. Im Regen hat sich die schlecht gemachte Tolle des Mannes aufgelöst. Er sieht aus wie ein trauriger Clown, der sich nach einer missglückten Vorstellung abgeschminkt hat.
Ash konzentriert sich auf das Gespräch am Nebentisch. Ein Mann berichtet, man habe den ersten Fall in Los Angeles entdeckt. Seither sei die Stadt von der Außenwelt abgeriegelt. Ein anderer erklärt, seine in New York lebende Cousine Rose habe angerufen und mitgeteilt, dass sich die Seuche auch in der Bronx ausbreite. Dem Fernsehen zufolge nimmt die Zahl der Fälle auf der ganzen Welt rasch zu. Es heißt sogar, die amerikanischen Streitkräfte hätten vor Miami ein Linienflugzeug abgeschossen. Manche wollen wissen, ein von Islamisten freigesetzter Bakterienstamm habe das Übel ausgelöst. Einer der Männer am Tisch behauptet, vorwiegend Schwarze fielen der Seuche zum Opfer. Während er einen Schluck Bier nimmt, sagt er im Brustton der Überzeugung: »Schwule und Nigger, so fängt das immer an.«
Ash unterdrückt den Impuls, den Kerl so lange durchzuprügeln, bis ihm sein Blut ins Bierglas läuft. Schweinehunde waren ihm schon immer zuwider, und Rassisten ganz besonders. Er findet sie beschränkt, doch gesteht er
sich innerlich ein, dass sie für die Verschärfung der sich anbahnenden Katastrophe nützlich sind. Es handelt sich um die Art braver Bürger, der jetzt hergeht, sein Gewehr reinigt und Vorräte von Kaffee und Zucker im atomsicheren Bunker stapelt, den er mit Staatskrediten im Garten hinter dem Haus angelegt hat. Das Heer der Dummköpfe. In wenigen Tagen werden Leute wie er die Situation dadurch verschärfen, dass sie zur Lynchjustiz greifen, Aufstände anzetteln und Häuser in Brand stecken. Anschließend wird das Militär einen Sperrgürtel um die Städte legen und auf jeden schießen, der zu entkommen versucht. Davon bekommt Memphis allmählich eine Vorahnung, während die Fluten des Mississippi immer mehr anschwellen. Es ist der Anfang vom Ende.
Ash hebt den Blick und sieht auf die endlosen Schlangen vor den noch geöffneten Lebensmittelgeschäften und Tankstellen. Manche Bewohner haben die Stadt bereits verlassen. Andere nageln Bretter vor die Fenster ihrer Häuser. Es wird von Fällen berichtet, in denen Menschen beim Plündern von Drugstores Atemschutzmasken trugen. Sie misstrauen der Luft, die sie atmen. Mit Recht.
»Hätten Sie mal Feuer?«
Ash dreht sich zu dem unauffälligen Mann um, der gerade am Tisch rechts von ihm Platz genommen hat. Zwischen seinen Lippen klemmt eine Zigarette. Ein Handlungsreisender. Er wirkt erschöpft, aber nicht verängstigt, und sieht aus,
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