Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
um.
»Eins noch.«
»Ich höre.«
»Bei Maria sind die Sicherungen durchgebrannt. Mit deiner sanften Tour bringst du es noch so weit, dass sie dir eine 9-mm-Kugel verpasst.«
»Unmöglich.«
»Offen gesagt hasst sie dich.«
»Die Sache ist etwas komplizierter, Stan. Sie will, dass ich ihr Sachen sage, die ich nicht rausbringe.«
»Zum Beispiel was?«
»Dass ich sie liebe und mir alles schrecklich leidtut.«
TEIL DREIZEHN
DIE APOKALYPSE DER MARIA
1
Neun Uhr morgens. Das Fast-Food-Restaurant an der Main Street von Keokuk hat soeben geöffnet. Maria setzt Gordon und Holly dort ab, bevor sie den Buick ein Stück weiter parkt. Sie sieht, wie die beiden hineingehen. Vor einer Stunde hat sie Holly im Badezim mer die Haare gewaschen und sie gefragt, ob sie sich erinnern könne, in der Nacht etwas Sonderbares geträumt zu haben. Holly hatte mit leiser und betrübter Stimme gesagt: »Ich träume nicht mehr, Maria. Ich hab zu viel Angst, dass ich damit Hornissen anlocke.«
Nach kurzem Schweigen hatte sie hinzugefügt: »Wo warst du gestern Abend?«
»Ich hatte etwas zu erledigen.«
»Was Böses, stimmt’s?«
»Ja, Holly. Ich musste etwas Böses tun.«
»Meinetwegen?«
»Nein, Schätzchen, wegen der anderen. Wegen der Großen. Damit will ich sagen, dass man einem Mädchen von elf Jahren auf keinen Fall Vorwürfe für das machen kann, was da passiert ist. Es ist ungeheuer wichtig, dass du dir das klarmachst. Wenn du nämlich glaubst, dass alles deine Schuld ist, hältst du nie durch. Verstehst du das, Schätzchen?«
»Trotzdem, wenn ich mich damals im Einkaufszentrum nicht versteckt hätte …«
»Wärest du zusammen mit deinen Eltern umgekommen.«
Holly hatte angefangen, kaum hörbar zu weinen, während Maria ihr die Haare spülte.
»Macht dir das Angst, Schätzchen? Der Gedanke, dass du mit deinen Eltern hättest umkommen können?«
»Nein, überhaupt nicht. Wenn ich bei dem Unwetter umgekommen wäre, wär das alles nicht passiert. Ich gehöre nicht hierher, sondern zu den anderen Toten, die im Wasser umgekommen sind.«
»Nein, Liebling. Im Augenblick gehörst du hierher.«
»Und später?«
»Über später reden wir, wenn es so weit ist, Holly. ›Später‹ hat für eine Elfjährige nicht die geringste Bedeutung.«
»Wenn ich nicht sterbe, werde ich dann …«
»Du wirst nicht sterben, Liebling.«
»Davon hast du doch gar keine Ahnung, Maria, nicht wahr?«
»Entschuldige, Schätzchen. Heraus mit der Sprache, ich hör dir zu.«
»Nehmen wir an, ich sterbe nicht, was passiert dann?«
»Du meinst, mit dir und mir?«
»Ja.«
»Möchtest du denn immer bei mir bleiben?«
Holly hatte genickt.
»Dann ist das so gut wie abgemacht, Schätzchen.«
»Außer wenn sie dich fangen.«
»Auf jeden Fall werden sie es versuchen.«
Dann hatte Maria den Wasserhahn zugedreht.
»Maria?«
»Ja?«
»Hast du heute Nacht jemanden umgebracht?«
»Nein, Schätzchen. Ich hab so gezielt, dass niemand dabei umkommen konnte.«
»Ganz bestimmt?«
»Ganz bestimmt.«
Maria hatte ein Handtuch um Hollys Haare gewickelt und dann noch gesagt: »Schätzchen? Wenn ich heute Nacht jemanden umgebracht hätte, würdest du mich dann noch lieb haben?«
»Das ist aber eine superschwere Frage.«
»Du musst nicht antworten, wenn du nicht möchtest.«
»Meinst du, jemanden umbringen, um mich zu retten?«
»Ja.«
»In dem Fall wär das schlimm und gleichzeitig gut, nicht wahr?«
»So etwa in der Art, Liebling.«
»Ich würde auf jeden Fall jeden umbringen, der dir was zu tun versucht. Und du hättest mich doch dann auch noch lieb, oder?«
»Selbstverständlich. Aber das ist nicht ganz dasselbe, Schätzchen.«
»Ist es doch.«
Maria schaltet die Zündung aus und sieht eine Weile auf die Menschenmenge, die sich auf der Main Street drängt. Die Leute wirken verängstigt. Manche zeigen auf einen kleinen Konvoi aus Militärfahrzeugen, der nordwärts fährt. Sie haben den Ernst der Lage begriffen. Maria steigt aus, setzt eine verspiegelte Sonnenbrille und eine alte Mütze auf, die ein früherer Gast des Motels im Zimmer zurückgelassen hatte. Dann schlägt sie ihren Jackenkragen hoch und geht ins Fast-Food-Restaurant. Sogleich überfällt sie dort der Geruch nach heißem Bratfett. Sonderbarerweise sind fast alle Plätze besetzt. Ganze Familien kauen ihre Hamburger, während sie auf den Plasma-Bildschirm starren, der ununterbrochen CNN-Nachrichten zeigt. Es überläuft Maria kalt, als sie Bilder sieht, die ein
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