Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
zurückgehalten hat, freien Lauf.
»Warum weinst du, Maria?«
»Weil Holly sterben muss.«
»Sterben?«
»Ja, Ihr wisst schon. Sie wird aufhören zu atmen und verwesen.«
»Natürlich wird sie sterben. Sie trägt die Macht, und da die Macht verschwinden wird, liegt es in der vorgegebenen Ordnung der Dinge, dass auch sie dahingehen muss.«
»Mit dem kleinen Unterschied, dass Ihr etwas über vierhundert Jahre gelebt habt, und sie nur elf.«
»Sie ist sehr viel älter, als du dir vorstellen kannst.«
»Könnt Ihr sie retten oder nicht?«
»Wozu? Sie wird nicht leiden, weißt du. Dort, wohin ich sie bringe, gibt es Katzen und Vögel. Auch kleine Mädchen. Außerdem sind Cyal, Kano und Elikan dort. Willst du ihr all das wirklich nehmen?«
»Ich will nicht, dass sie stirbt.«
»Warum? Deinetwegen oder ihretwegen?«
»Welchen Unterschied macht das?«
»Einen gewaltigen, Maria.«
Maria wischt sich die Tränen ab.
»Ich will nicht, dass sie mich verlässt. Nach allem, was wir miteinander durchgemacht haben, will ich nicht allein bleiben.«
»Maria, du verstehst nicht. Holly ist nicht einfach ein
elfjähriges Mädchen, sondern zugleich diejenige, welche die Macht gerettet hat. Ohne euch beide hätten wir die Schlacht verloren. Das macht sie zur Mutter der Mütter und dich selbst zu einer Ehrwürdigen. Deshalb kannst du von uns bekommen, was du haben willst. Wichtig ist nur, dass du weißt, was du wirklich willst.«
»Ich will, dass Holly lebt.«
»Hast du sie gefragt, ob sie das auch will?«
»Ja. Sie hat gesagt, dass sie immer bei mir bleiben möchte.«
»Glaubst du nicht, dass sie das gesagt hat, weil du das hören wolltest?«
»Könnt Ihr sie retten?«
»Das kann nur ihr Hüter.«
»Gordon?«
»Ja.«
»Worauf wartet er dann noch?«
»Er wartet, bis er erfährt, ob du bereit bist, den Preis dafür zu zahlen.«
Die Alte hat sich Gordon zugewandt. Seine Augen leuchten spöttisch. Langsam hebt er den Kopf.
»Was ist der Preis?«
»Das weiß ich nicht, aber es gibt immer einen Preis zu zahlen.«
»Wollt Ihr damit sagen, einen Fluch, eine Verwünschung oder etwas in der Art?«
»Nein. Ich will damit sagen, dass Holly so gut wie tot ist, und dass sie anders sein wird als vorher, wenn man sie aus diesem Zustand zurückholt.«
»Aber sie wird leben?«
»Ja.«
»Wie lange?«
»Wer kann das sagen?«
»Und sie wird gesund sein?«
»Wie alle Kinder wird sie sich erkälten, älter werden und schließlich sterben. Wovor hast du Angst, Maria? Meinst du, sie könnte dich verabscheuen, weil du sie zurückgeholt hast? Oder sie würde dich nicht wiedererkennen oder so sehr verändert sein, dass du sie nicht mehr lieben kannst?«
»Nein, das ist unmöglich.«
Die Alte lächelt. Erneut wischt sich Maria die Tränen ab.
»Und Ihr?«
»Was ist mit mir?«
»Werden die Verehrungswürdigen, die Hüter, die Macht, all das verschwinden?«
»Im Gegenteil. Gerade jetzt fangen Labors auf der ganzen Welt an, das aus Holly gewonnene Erbgut zu reproduzieren. Jetzt ist es unser Erbgut. Indem sie es dem der gesamten Menschheit hinzufügen, werden sie die Bedrohung aufheben. Die Mutation wird Zeit brauchen, aber nichts kann sie aufhalten. Wir werden verschwinden, weil unser Auftrag erfüllt ist. Bisher waren wir nur eine Handvoll, aber morgen werden wir Milliarden sein.«
»Bis zur Großen Verwüstung, die nahezu ebenso viele töten wird, nicht wahr?«
»Ja.«
»Das hat doch keinen Sinn.«
»Das braucht es auch nicht. So ist es seit der Nacht der Zeiten: Wir vermehren uns, lösen entsetzliche Geißeln aus, die unsere Art heimsuchen, und fangen dann woanders wieder an, uns zu vermehren.«
»Wann wird das sein?«
»Zu gegebener Zeit.«
»Und ich?«
»Was ist mit dir?«
»Werde ich weiterhin von Euch träumen?«
»Wer weiß, Maria.«
Der Atem der Alten geht immer schwerer. Sie nimmt
Hollys Macht in sich auf, fügt sie der großen Macht erneut zu, die im Sterben liegt. Vor Marias Augen verdorrt sie langsam. Ihre Haut wird faltig und zieht sich zusammen, ihr Kopf sinkt nach unten, ihre Finger werden schlaff.
Maria hat sich erhoben. Sie tritt zu Gordon, der Holly sanft in den Armen wiegt. Sie beugt sich vor und küsst den Alten auf die Haare. Dabei sagt sie: »Ich will es.«
Gordon hebt den Kopf. Er lächelt. »Bist du sicher, Maria?«
»Ja.«
»Es tut mir wirklich leid, dass ich damals im Heiligtum von Lagrange gesagt habe, was ich jetzt nicht wiederholen darf, weil du daraufhin entsetzlich wütend geworden
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