Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
getan. Ich meine, im Dienst.«
»Das zählt nicht. Ich spreche von bewusstem Mord, bei dem es darum geht, ins Fleisch zu schneiden, das Opfer aufzuschlitzen und ihm das Leben zu nehmen. Ich spreche von der Lust am Töten. Dieses Stadium haben Sie noch nicht erreicht, aber alle Ihre Ängste und all die angesammelte Wut wird im Laufe der Zeit dafür sorgen, dass Sie die Grenze überschreiten.«
»Ja, davor habe ich bisweilen Angst. Ich habe Angst, und zugleich verlockt es mich.«
»Wie etwas Verbotenes?«
»Nein, eher wie etwas... Mögliches.«
Maria hört Dr. Coopers Atemzüge.
»Die Girlande geht wieder an. Das Licht kriecht über die Sessel.«
»Gut. Jetzt richten Sie den Blick auf das Sofa. Was sehen Sie da?«
»Meine Adoptiveltern. Sie haben einander umarmt.«
»Was hat der Mörder mit ihnen angestellt?«
»Er hat ihnen die Kehle durchgeschnitten und ihnen außerdem den Unterleib aufgeschlitzt. Auf dem Teppichboden ringeln sich Eingeweide.«
»Und weiter?«
»Er hat ihre Hände zusammengenäht. Er hat ihre Handflächen aufeinandergelegt und zwischen den Fingergliedern aneinandergenäht. Es ist der gleiche Zwirn wie bei Tante Bessie. Man könnte glauben, dass sie auf dem Sofa miteinander tanzen.«
»Achten Sie auf ihre Augen. Bei dieser Art von Mörder kommt es auf die Augen an.«
»Er hat ihre Augäpfel entfernt. Als hätte er die Augenhöhlen mit einem Messer oder einem Teelöffel ausgekratzt. Das bedeutet... das bedeutet, dass sie Bescheid wussten.«
5
»Maria?«
»Ja?«
»Bleiben Sie nicht in der Mitte des Wohnzimmers.«
»Ich gehe langsam rückwärts. Ich muss um jeden Preis Abstand von den Leichen meiner Eltern gewinnen.«
»Warum?«
»Um den Abgründen zu entgehen, die sich da auftun.«
»Die Augen Ihrer Eltern?«
»Ja. Es sind tiefe und blutige Abgründe. Blutstropfen auf Wangen, so bleich wie Porzellan.«
»Sagen Sie mir, was geschieht.«
»Ich gehe weiter rückwärts, ohne den Blick von den leeren Augenhöhlen meiner Mutter zu nehmen. Es kommt mir vor, als wolle sie die Fäden durchbeißen, die sie mit den Handflächen meines Vaters verbinden, und sich dann auf mich stürzen, um mich zu verschlingen.«
»Sehen Sie deshalb den Mörder nicht?«
»Ja. Er steht hinter mir. Er hat die ganze Zeit hinter mir gestanden. Er sieht mir zu, seit ich ins Wohnzimmer gekommen bin. Er hat mir Zeit gelassen, sein Werk zu betrachten.
Beim Zurückweichen trete ich mit meinen nackten Füßen in die Blutlachen. Ich habe Angst auszurutschen. Dann geht die Lichtergirlande aus und nicht wieder an. Ein riesiger Schatten legt sich um mich. Ein Geruch nach Zigarre und Ammoniak stürmt auf meine Nase ein. Eine Hand, die in einem Handschuh steckt, legt sich vor meinen Mund und drückt mich mit aller Kraft gegen einen Wollmantel. Ich spüre einen Schal an meinen Haaren, Muskeln und Knochen, die sich gegen meinen Rücken drängen.«
»Ist das alles?«
»Ja. So endet die Vision jedes Mal.«
»Es ist keine Vision, Maria.«
Maria fährt zusammen. Es gelingt ihr nicht, die Augen zu öffnen. Ein sonderbar taubes Gefühl breitet sich in ihrem ganzen Leib aus. Ihre Muskeln sind schlaff. In ihrer Kehle spürt sie den Geschmack von Tee. Die dampfende Tasse fällt ihr ein, die ihr Dr. Cooper vor Beginn der Sitzung angeboten hatte. Während sie den Teebeutel im heißen Wasser schwenkte, hatte es sich geschwärzt. Anschließend hatte sie das Gebräu in kleinen Schlucken geschlürft.
»Was haben Sie mir da zu trinken gegeben?«
»Etwas, das Ihnen helfen wird, sich zu entspannen.«
»Ich möchte jetzt gern in die Wirklichkeit zurückkehren.«
»Nicht so eilig, Maria. Wenn ich Sie jetzt mitten im Wohnzimmer lasse, besteht die Gefahr, dass Sie nie wieder dort hinausfinden. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Sie sich an das erinnern, was wirklich geschehen ist.«
»Nicht ich bin an jenem Abend umgekommen, sondern das kleine Mädchen aus der Vision. Die Abgründe, die Bordsteinkante, das metallene Schutzgitter um die Glühlampe und das Zischen, mit dem Mücken darauf verbrennen, der Geruch nach Staub in meinem Zimmer. Es ist immer dieselbe Vision. Sie verschwindet monatelang und taucht dann wieder auf.«
»Es ist keine Vision, Maria, sondern eine Erinnerung.«
»Das stimmt nicht.«
»Dann sagen Sie mir doch, wie das kleine Mädchen heißt.«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Haben Sie es je gewusst? Haben Sie je ihre Akte im Archiv der unaufgeklärten Morde zur Hand genommen?«
»Das wollte ich, aber sie war
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