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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Himmel über der Wüste von Nevada allmählich erhellt. Ocker, Staub und rote Felsabstürze. Obwohl es noch nicht Tag ist, spürt man bereits die Hitze. Bestimmt dreißig Grad. Über den Himmel ziehen Schwärme von Aasvögeln und suchen mit ihren scharfen Augen im niederen Buschwerk nach Nahrung. Es ist die Stunde, da sich Klapperschlangen und Skorpione zum Schutz vor der Sonne, die bald vom Himmel herunterbrennen wird, in ihre Schlupfwinkel zurückziehen.
    Hier und da lockern mit Kakteen bestandene Inseln die braune Fläche der Wüste auf: Die dünnen Wurzeln dieser kräftigen Pflanzen mit vergifteten Stacheln winden sich wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche, um die Tautröpfchen aufzusaugen, die jetzt auf dem Sand glänzen. Ein Stück weiter erheben sich sogenannte Josuabäume, deren fleischige Äste der heiße Wüstenwind gekrümmt hat. Hier findet sich an einzelnen Stellen weit in der Tiefe Wasser, das ausschließlich diese Yucca-Gewächse mit ihren Wurzeln erreichen können. Kassam liebt die Josuabäume. Soweit er zurückdenken kann, war er stets wie sie gewesen. Ein Lebewesen der Wüste.
    Zur Welt gekommen war er vor achtundzwanzig Jahren in einem abgelegenen Dörfchen irgendwo im Ganges-Delta, ohne einen Laut von sich zu geben. Seine Mutter hatte ihn in ihrer aus einem einzigen Raum bestehenden Lehmhütte in eine an der Decke hängende Wiege aus
Zweiggeflecht gelegt, in der er vor den Skorpionen sicher war. Dort war er wie seine elf Geschwister aufgewachsen, dort vergewaltigte der Vater die Mutter nach jeder Niederkunft und schwängerte sie bald erneut. Als einer von wenigen aus dieser armen Brut hatte Burgh überlebt. Er hatte weder seinen Brüdern und Schwestern die Milch weggenommen noch mehr Luft verbraucht als sie, sondern war einfach mit weniger zufrieden gewesen, hatte jeden Bissen sorgfältig geschluckt, ohne etwas davon zu vergeuden, und seinen Organismus jedes Mal gestärkt, wenn eine Infektion eines der Geschwister dahingerafft hatte. Tatsächlich war er sich erst spät darüber klar geworden, dass er um so stärker wurde, je mehr von ihnen starben, so als habe er von ihrer Substanz gezehrt. Das war so weit gegangen, dass seine Eltern angefangen hatten, ihn zu hassen und den Blick abzuwenden, wenn er sich näherte. Als Unberührbarer unter Unberührbaren hatte er nie wieder die Wärme ihrer Arme gespürt. Es war ihm gleichgültig. Er hatte die ersten Jahre seines Lebens zugebracht wie viele ungeliebte Kinder, mit dem Unterschied, dass er in einer der ärmsten Gegenden der Welt lebte und über eine ungewöhnliche Intelligenz verfügte.
    Als seine Eltern merkten, wie die Schwärze in ihm zunahm, hatten sie insgeheim gehofft, er werde sich verletzen und seine Wunden sich infizieren. Sie hatten gebetet, eine Epidemie möge ihn dahinraffen oder er möge, während er mit seinen Freunden über die Deiche am Ganges lief, ausgleiten und ertrinken. Aber Burgh Kassam war herangewachsen und hatte sich weiterentwickelt. Bald war er ein gut aussehender Junge von vierzehn Jahren; nach dem Tod seiner Eltern hatte sich ein reicher Geschäftsmann seiner angenommen und ihn auf die besten amerikanischen Schulen geschickt. Da den Lehrern dort schnell aufgegangen war, dass es sich bei Burgh um ein Genie handelte,
hatte man dafür gesorgt, dass er eine private Einrichtung für Hochbegabte besuchen konnte, von der er mit erst sechzehn Jahren an das California Institute of Technology wechseln durfte. Seither hatte er Doktortitel gesammelt und war einer der glänzendsten Köpfe seiner Generation geworden. Seine überragende Intelligenz hatte seine Seele nach und nach verdorren lassen, und er hatte sich schließlich ganz und gar auf die einzige Aufgabe konzentriert, die es in seinen Augen wert war, dass sich große Geister mit ihr beschäftigten: die Suche nach der Wahrheit.
     
    Burgh Kassam spürt eine köstliche Wärme im Nacken. Er beugt sich vor, um der Sonne, die hinter den Klippen heraufgekommen ist, möglichst viel Haut darzubieten. Er ist in der Abenddämmerung von Coyote aufgebrochen und unter den Sternen immer geradeaus gegangen, quer durch die Wüste. Da sie eine der lebensfeindlichsten auf der Welt ist, stellen ehrenamtliche Mitarbeiter humanitärer Organisationen weiter im Süden Fässer mit Wasser auf, damit illegale mexikanische Einwanderer die Möglichkeit haben, die großen Städte zu erreichen. Kassam sind die Ehrenamtlichen zuwider. Er hat nie begriffen, wieso das Leben von Chicanos mehr wert sein

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