Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
Zauberer. Der Ritter steht hinter ihr. Er hat ihr die Hände auf die Schultern gelegt und lauscht auf den draußen tobenden Sturm. Er lässt den Blick über die Menge schweifen. Sein scharfes Auge hat einen zerlumpten Mann wahrgenommen, der sich einen Weg durch die dicht gedrängte Menschenmasse bahnt. Er scheint der Anführer eines ganzen Trupps zu sein, dessen Angehörige mit prüfenden Blicken die Ränge auf der anderen Seite des Stadions absuchen. Maria friert. Sie hat Angst. Der Ritter beugt sich über sie und flüstert ihr ins Ohr:«Rührt Euch nicht, Mutter. Inmitten all dieser Leiber können sie Eure Anwesenheit nicht erschnüffeln.«
6
Maria streckt sich. Sie liegt in ihrem Bett, spürt die Laken auf der Haut. Sie hat nicht die leiseste Vorstellung davon, wie sie von der Veranda in ihr Schlafzimmer gekommen ist. Wie jedes Mal, wenn sie woanders aufwacht als dort, wo sie eingeschlafen ist, schwört sie bei allen Heiligen, dass sie nie wieder trinken wird.
Die Leuchtziffern ihres Weckers zeigen, dass es fast sechs Uhr abends ist. Obwohl sie wie ein Stein geschlafen hat, schmerzen ihre Schultern und Wadenmuskeln, als hätte sie Holz gehackt oder wäre kilometerweit durch den Wald marschiert. Ihr Atem stockt. Soeben ist ihr eingefallen, dass sie nicht nur von dem im Stadion von New Orleans eingeschlossenen Mädchen geträumt hat, sondern seit Jahren zum ersten Mal wieder von Hezel. Sie hatte ein Stelldichein mit ihrem Geliebten. Bei der Erinnerung an diese Begegnung prustet Maria laut los wie ein albernes Schulmädchen. Wieder dieselbe Lichtung mit ihren umgestürzten Bäumen, dem blühenden Heidekraut, dem Mooslager,
den großen flachen Steinen, dem Bächlein, das murmelnd durch das Gras fließt. Eine kitschige Filmkulisse, in der sie sich wohlgefühlt hat. Allerdings wird sie allmählich ernsthaft eifersüchtig auf jene telepathische Scarlett: Noch nie hat ein Mann sie so geduldig, ausdauernd und zärtlich liebkost wie dort auf dem flachen Stein, den sie unter ihrer nackten Haut nicht einmal als hart empfunden hat. Und natürlich hatte auch noch kein Liebhaber sie je so beglückt. Im selben Augenblick wie Hezel hatte sie sich auf die Unterlippe gebissen, als ein alles andere als puritanischer Orgasmus ihren Unterleib und ihre Schenkel in Flammen gesetzt hatte. Danach waren sie eng umschlungen liegen geblieben und hatten den Mond betrachtet. Maria fällt ein, dass der Märchenprinz, der da neben ihr atmete, auf dem Unterarm tätowiert war: eine blaue Schlangenlinie zwischen zwei goldgelben Halbmonden. Sie fährt hoch. Das Lächeln erstirbt auf ihren Zügen. Soeben hat sie in einem Mondstrahl das Gesicht von Hezels Liebhaber gesehen. Sie kennt es gut: Es ist Cayley, nur viel jünger.
Aus der Küche ertönt fröhliches Pfeifen, Töpfe klirren. Maria erstarrt. Jemand macht sich dort zu schaffen, öffnet und schließt Schränke. Sie steht auf, nimmt ein Höschen aus einer Schublade und reißt die anderen auf. Sie sind so gut wie leer. Sie greift nach dem Holster auf dem Nachttisch. Es ist leer. Dann tritt ihr das Bild ihrer Glock in der Trommel der Waschmaschine vor Augen. Sie kramt im Kleiderschrank und nimmt einen alten Colt vom Kaliber.38 heraus, dreht die Trommel. Die Kugeln blitzen in ihren Kammern auf. Sie lauscht. Nicht zu fassen: Da pfeift doch jemand in ihrer Küche und kramt in ihren Schränken herum. Verzweifelt versucht sie, sich zu erinnern, ob sie von den Bannermans einen Kerl mitgebracht hat. Auf Zehenspitzen verlässt sie das Schlafzimmer. Das Pfeifen wird
lauter. Sollte sich herausstellen, dass der Bursche sie vernascht hat, ohne dass sie sich daran erinnern kann, und sie ihn womöglich auch noch dabei erwischen, dass er im Stehen in ihre Toilette pinkelt, ohne die Brille hochgeklappt zu haben, wird sie ihn ohne Umstände abknallen.
7
Maria tritt in die Küche und hält dem Kerl, der da vor ihrer Kühlkombination kniet, den Lauf der Waffe an den Kopf.
»Keine Bewegung, wenn du nicht willst, dass ich dir das Gehirn auf die Eiswürfel puste.«
»Ach, du bist das, Maria! Hast du mir einen Schreck eingejagt!« Schwerfällig richtet sich der Mann auf.
»Cayley? Was treibst du hier?«
Sie lässt den Colt sinken und sieht dem Mann in die Augen, der sich langsam und mit erhobenen Händen umgedreht hat. Unübersehbar genießt der Alte den Anblick von Marias bloßen Brüsten. Verlegen kreuzt sie die Hände vor der Brust.
»Cayley?
»Hmm?«
»Könntest du mir in die Augen sehen, während ich mit
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