Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
Vom Netzwerk:
soll als das von Klapperschlangen oder roten Ameisen. Wenn es nach ihm ginge, müssten sie die Wüste barfuß durchqueren, obendrein sollte man sie durch einen Trupp Killer verfolgen lassen. Bei diesem Gedanken lächelt er. Halb verhungerte, erschöpfte Gestalten, die inmitten von Klapperschlangen und Skorpionen unter dem Mond dahineilen, während ihnen eine Hundertschaft Bewaffneter auf den Fersen ist, stets bereit, jeden niederzuschießen, der zurückbleibt oder verletzt ist... Eine letzte Reihe Scharfschützen vor Erreichen der Zivilisation, wo eine Aufenthaltserlaubnis und eine erfrischende Dusche in einem Luxushotel die Überlebenden erwarten.

    Er muss an die soeben zu Ende gegangene Nacht denken, die er in der Wüste verbracht hat. Ringsum hatte er gespürt, wie alles Leben unter den Steinen hervorkam, während sich die Sonne dem Horizont entgegenneigte. Die Zähne der Wüste. Nachdenklich fährt er sich mit einem Finger über die eiternden Wunden an den Fußgelenken und den Waden. Es sind Andenken an seine Mitbrüder, die Klapperschlangen. Er hatte das in hohen Kräutern verborgene verfluchte Nest nicht gesehen. Etwa fünfzig ziemlich große Schlangen waren aus ihren Löchern hervorgekommen, als er den Fuß auf eine von ihnen gesetzt hatte. Er hatte es genossen, als sich nach dem ersten Biss der Schmerz oberhalb seiner Ferse wie eine Explosion ausbreitete, dort, wohin die alte Klapperschlange ihre Zähne geschlagen hatte. Beim vierten Angriff war ein sonderbar pfeifendes Geräusch aus seinen zusammengepressten Lippen gekommen, und die Tiere hatten sich unter hastigen Windungen zurückgezogen.
    Als Kassam wieder aufgestanden war, hatte er gespürt, wie sich das Gift in seinen Adern verdünnte, wo es einen von vornherein aussichtslosen Kampf gegen die Antikörper führte, die seinen Organismus schützten. Das hing mit seiner an den Ufern des Ganges verbrachten Kindheit zusammen: Beim Spiel mit seinen Kameraden, die im selben Elend lebten wie er, hatte ihn eine Wasserschlange gebissen, und er hatte eine volle Woche zwischen Leben und Tod im Delirium gelegen. Als seine Mutter, die an seinem Bett wachte, bereits angefangen hatte, das Leichentuch für ihn zu nähen, hatte er die Augen wieder geöffnet. Wie er da auf seinem Lager lag, während sein Körper das restliche Gift verarbeitete, hatte er angefangen, sich mit der Frage der Unsterblichkeit zu beschäftigen. Das geschah weder bewusst noch in Gestalt eines bestimmten Plans, sondern war eher eine Vorstellung, die wie ein Nagel in sein Gehirn
eingedrungen war und fortan sein ganzes übriges Leben bestimmte.

2
    Kassam hatte seinen Weg durch die Wüste wieder aufgenommen und bewusst den Schmerz genossen, der ihn das Gesicht verziehen ließ. Er war die einzige Verbindung, die noch zwischen ihm und der Welt bestand. Bevor ein amerikanischer Psychiater bei ihm eine äußerst seltene Ausprägung von Autismus diagnostiziert hatte, an dem er seit frühester Kindheit litt, hatte Kassam stets den Eindruck gehabt, so etwas wie ein Ungeheuer zu sein. Das Goldfisch-Syndrom äußerte sich in der Wahrnehmung, ständig hinter der dicken Glasscheibe eines Aquariums zu leben und die Welt ausschließlich durch sie wahrzunehmen. Am lästigsten dabei war das ausgeprägte Gefühl, dass das Aquarium nichts anderes war als der Kranke selbst und das Glas die eigene Haut, die eigenen Augen, die eigenen Finger. Es gab keinerlei mit dem Tastsinn wahrgenommene Empfindungen, keinerlei körperliche Berührung, man spürte weder Wärme noch Kälte, nahm mit den Sinnen nichts von dem auf, was einen umgab. Gerüche waren auf ihre einfachste Form reduziert, der Geschmack von Lebensmitteln war stets gleich, alles, was man mit geschlossenen Augen berührte, fühlte sich an wie weicher Kunststoff. Nur der Schmerz war wirklich. Dieser stark verminderte Schmerz gestattete es Burgh Kassam, körperliche Leiden zu ertragen, die sich ein gewöhnlicher Sterblicher nicht vorstellen konnte.
    Er erinnerte sich, als Kind einmal ein glimmendes Stück Holz in die Hand genommen und es mit aller Kraft zusammengepresst zu haben, wobei er hörte, wie sein eigenes
Fleisch zischte, und er den Brandgeruch seiner Handfläche roch. Als der Schmerz dann wirklich unerträglich geworden war, hatte er versucht, die Hand wieder zu öffnen, doch hatte sich das Holz inzwischen in seine Haut gebrannt. Er hatte die Lehre daraus gezogen und sich alle gefährlichen Gegenstände und die Situationen eingeprägt, vor denen die

Weitere Kostenlose Bücher