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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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gemocht. Um die Lage zu entspannen, hatte sie behauptet, dass sie schon in ihrer alten Wohnung auf dem Balkon gestanden hätten.
Kein Problem. Wenn wir was Besseres finden, rangieren wir sie einfach aus
. Einer der Sätze, die man sagt. In den Momenten, in denen man alles sagt, weil die Liebe nichts zu tun hat mit dem, was man sagen kann.
    »Die beiden müssen über vierzig Jahre alt sein«, erklärte Sebastian und klopfte anerkennend gegen das Holz. »Kein einziger Wurm drin.« Er streckte sich auf dem Deckchair, den er gerade gepolstert hatte, aus. »Ist das gut.«
    Tessa sah ihn an. Glücklich und unschuldig wie ein Fünfjähriger, der seine Modelleisenbahn aus dem Keller geholt und quer durch die Wohnung verlegt hat. Sie schenkte zwei Tassen Kaffee ein, balancierte sie zu ihm und setzte sich.
    »Es ist toll, dass die nach der langen Zeit noch so gut erhalten sind«, sagte sie.
    »Nicht wahr? So was kriegt man heute nicht mehr.«
    »Und gut, dass deine Eltern die jetzt geschickt haben. Wir haben bestimmt noch ein paar warme Tage.«
    »Ich hoffe doch.« Sebastian blinzelte gegen die Sonne und trank einen Schluck von seinem Kaffee.
    Meine Eltern haben mir die Möbel nicht geschickt. Sie standen die ganze Zeit bei Carola und mir auf dem Balkon. Ich war gestern Nacht bei Carola und habe sie geholt. Sag es. Los! Sag es!
    Tessa zupfte an dem Faden, der aus ihrem Kimonoärmel heraushing.
    Carola hat mich angerufen und mir gesagt, dass ich die Möbel abholen soll. Dass sie den Anblick nicht mehr erträgt. Zu viele Erinnerungen
.
    Der Faden hing noch fest. Sie musste eine Schere holen. Ohne Schere würde sie nur Schaden anrichten.
    Ich hab gestern im Theater zufällig Carola getroffen. Und da hat sie die Möbel erwähnt, die noch im Keller stehen. Ist ja ein Jammer, wenn die da vergammeln
.
    »Wollen wir nicht frühstücken?« Sebastian richtete sich auf. »Ich bin furchtbar hungrig.«
    »Ja.« Tessa strich ihren Ärmel glatt. »Ich auch.« Sie wollte aufstehen, als Sebastian nach ihrer Hand griff und sie zurückzog. An sich heran. Dort, wo sein Morgenmantel offen stand, spürte sie seine glatte Brust.
    »Mmh.«
    Er küsste ihren Scheitel, strich ihr die Haare aus dem Gesicht, nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und schaute sie an.
    »Tessa.«
    Sie schloss die Augen und wünschte, er möge seine Hände fester auf ihre Ohren legen. Auf ihren Lidern spürte sie seine Lippen, seine Zunge. Und dann sagte er: »Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, dass wir zusammen sind. Ich bin so glücklich mit dir.«
    Sie küsste ihn, als hätten sie ihre Liebe soeben neu erfunden, er öffnete ihren Kimonogürtel, sie fuhr mit beiden Händen in seinen Morgenmantel hinein, und sie liebten sich auf dem Deckchair seiner Eltern, auf dem Deckchair, der in seiner alten Wohnung auf dem Balkon gestanden hatte, bis das Frühstück schlecht wurde und der Sonntag verging.

2
    Die Quoten der letzten Sendungen waren sensationell«, sagte Attila, und seine türkisch-holländischen Augen leuchteten. »Gestern hatten wir fünfhundertfünfzigtausend Zuschauer, dreizehn Komma zwei Prozent Marktanteil.«
    Einmal im Monat lud Attila Tessa zum Lunch ein. An diesem Freitag saßen sie in einem der teuren neuen Restaurants der Stadt, die sich von den teuren alten dadurch unterschieden, dass sie größere Fenster und eine schlechtere Akustik hatten.
    Tessa schob ihren Teller mit den Seezungenresten und der einsamen Zuckerschote beiseite und beugte sich nach vorn, um besser zu hören.
    Ihre Tischgespräche folgten einem strengen Plan. Sie begannen stets mit:
Danke, für mich nur Wasser. Mein Gott, Tessa, siehst du wieder gut aus
.
    Zur Vorspeise sagte Attila dann Dinge wie:
Hast du schon gehört, was diese Idioten im Innenministerium beschlossen haben? Die Seezunge, die ich das letzte Mal hier hatte, war zum Kotzen. Nimm lieber das Lamm
.
    Zum Hauptgang:
Den xy, den holen wir nicht mehr in die Sendung. Überhaupt kein Gespür für das Medium, der Mann. Wie ist dein’s? Mein Lamm ist ent-setz-lich. Das nächste Mal lad ich dich zu McDonald’s ein
.
    Und dann kam es. Das Entscheidende. Eingeleitet mit der Quotenfrage. Ein paar Zahlen vor und hinter dem Komma, die alles bedeuteten. Lorbeerkranz. Löwenfutter.
Dreizehn Komma zwei Prozent. Das war gigantisch für eine Sendung auf einem Regionalsender
. Das letzte Mal, als Attila Tessa in dieses teure neue Restaurant eingeladen hatte, war ihre Sendung von Mitternacht auf zweiundzwanzig Uhr vorverlegt worden.

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