Die Brut
in Stress zu kommen, schnippte Tessa ihren ausgedrückten Zigarettenstummel über die Terrassenbrüstung und ging in die Küche. Als sie am Bad vorbeikam, fiel ihr ein, dass sie seit einer Woche überfällig war. Sie holte eins von Sebastians Joghurtgläsern aus dem Altglas, setzte sich aufs Klo und pinkelte ein wenig hinein. Ihre Tage kamen so regelmäßig wie der öffentliche Nahverkehr in Rom, weshalb sie immer einen Vorrat an Schwangerschaftstests da hatte. Tessa nahm eine Schachtel aus dem Medizinschrank, wickelte den Teststab, der vage an ein Fieberthermometer erinnerte, aus der Schutzfolie und stellte ihn ins Glas.
Pfeifend ging sie in die Küche, öffnete die erste der Baroloflaschen, die sich in einigen Stunden auf drei wundersame Löffel Soße reduziert haben sollte, schenkte sich ein Glas ein und holte den Kaninchenrücken aus dem Kühlschrank.
Jetzt, wo er vor ihr lag, fand sie ihn mickrig. Sie hätte lieber ein ganzes Kaninchen machen sollen.
Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte Tessa nie Freude daran gehabt, Regenwürmer zu zerschneiden und Frösche aufzublasen. Nachdem sie einmal sich in den Finger und zweimal an der falschen Stelle in das Kaninchen hineingeschnitten hatte, wurde ihr klar, dass sie es trotz des neuen Filetiermessers wahrscheinlich nicht schaffen würde, die
Bauchlappen unverletzt auszulösen
, wie es das Rezept vorsah. Einen feigen Moment legte sie das Messer beiseite und blätterte in dem Kochbuch, ob es kein Rezept gab, das von zerkleinertem Kaninchenfleisch ausging. Sie fand einen
Kaninchensalat mit Limonensaft und Salbei
. Da es im ganzen Haus weder Limonensaft noch Salbei gab, griff Tessa erneut zum Messer.
Eine gute halbe Stunde später hielt sie die beiden Bauchlappen ihres Kaninchens in den Händen. Der eine war etwas zerfetzt, den anderen konnte man für beinahe unverletzt halten.
Als nächstes wollte das Rezept, dass sie die Knochen hackte. Tessa erinnerte sich an das Hackebeil, das Sebastian ihr beim Einräumen der Küche stolz gezeigt hatte. Er hatte es in Paris auf dem Flohmarkt gekauft. Und dann um ein Haar am Flughafen zurücklassen müssen, weil er es ins Handgepäck gesteckt hatte und das Sicherheitspersonal ihn kein Hackebeil – ganz gleich wie antiquarisch, ganz gleich wie verrostet – ins Flugzeug hatte mitnehmen lassen wollen. Irgendwie war es Sebastian gelungen, eine Stewardess zu bequatschen, die dann das Beil für ihn mit nach Deutschland genommen hatte.
Tessa legte die Wirbelsäule des Kaninchens (zumindest nahm sie an, dass es die Wirbelsäule war) mit den etwas zerfleddert daran hängenden Rippen auf ein großes Holzbrett und begann zu hacken. Es ging leichter, als sie erwartet hatte. Zack. Knack. Fast war sie enttäuscht. Das Muskel-, Fett- oder Was-auch-immer-Gewebe, das die Rippen zusammenhielt, ließ sich schwerer durchtrennen als die Knochen an sich.
Rechtzeitig fiel ihr das Schweinenetz im Kühlschrank ein, das gewässert werden wollte. Ein säuerlich-ranziger Geruch schlug ihr entgegen, als sie das längliche Päckchen entrollte, das der Metzger zum Kaninchen, der Poulardenbrust und der Gänsestopfleber gepackt hatte. Bis heute Mittag hatte Tessa noch nie etwas von der Existenz eines Schweinenetzes gehört. Es entpuppte sich als eine fast quadratmetergroße dünne Membran, die von gelblichen Fettadern durchzogen war. Wenn Tessa sie gegen die Fenster hielt, schimmerte die Sonne hindurch.
Da hat das Schwein sein Gekröse drin
, hatte der Metzger sie aufgeklärt. Tessa bekämpfte die leichte Übelkeit, die in ihr aufstieg, indem sie sich an das erinnerte, was sie neulich in einem Interview mit einem Edelkoch gelesen hatte:
Je raffinierter auf dem Teller, desto unappetitlicher vor der Zubereitung
, und ließ das Netz in eine große Schüssel mit kaltem Wasser sinken.
Obwohl sie ihr Hemd bereits ausgezogen hatte, war sie ins Schwitzen gekommen. Kurz nach fünf. Sebastians Flieger sollte um sieben landen.
Morgens, wenn sie aufwachte und die Schnürsenkel ihrer Laufschuhe band, fühlte sich ihr Glück wie etwas an, das grün und duftig und nicht besonders haltbar war. (Ein japanisches Schaumbad?)
Gegen Mittag, wenn ihr schon mehrere Leute gratuliert hatten, verwandelte sich ihr Glück in etwas Dickes, das auf breiten Füßen stand, schwer zu erschüttern war und nach allen Seiten strahlte. (Ein alter Kachelofen?)
Nachts, wenn sie ins Bett ging und mit Sebastian telefonierte, nahm ihr Glück die Konsistenz von flüssigem Lakritz an.
Begleitet
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