Die Brut
von
Trage-dieses-Kleid-und-das-Leben-wird-heiter
-Wahn gekauft und sofort in den Schrank gehängt hatte. Sie ging mittags in den besten Feinkostladen der Stadt und bestellte ein Lachs-Tramezzino, das sie auf einer Bank im Park aß. Zum ersten Mal verstand sie, was Leute meinten, wenn sie sagten:
Ich liebe mein Leben
. (Wobei sie natürlich neunundneunzig Prozent der Leute, die diesen Satz sagten, noch weniger verstand als zuvor.)
Tessa ging in ihre Lieblingsbuchhandlung und blätterte in den Kochbüchern, die am teuersten waren und die größten Fotos hatten. Außer einem Salat oder einer Tiefkühlpizza hatte sie in der neuen Küche noch nie etwas zubereitet. Die Edelküche war Sebastians Spielzeug. Am ersten Wochenende, nachdem die Einrichtung geliefert worden war, hatte er acht Stunden am Gasherd gestanden. Über den ganzen Tag verteilt hatte es Hummeressenzen gegeben und Hasenpasteten und Spargelgratins und Lammbraten und drei verschiedene Crèmes brulées. Dann hatten die Dreharbeiten begonnen, und Sebastian hatte vergessen, dass es daheim eine perfekte Küche gab, die geritten werden wollte.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Tessa eine junge Frau, die aussah, als ob sie sich noch nicht entschieden hätte, ob sie magersüchtig oder lieber bulimisch werden sollte. Heimlich wie ein Kapuzinermönch im Sexshop zog sie Backbücher aus dem Regal. Lächelnd dachte Tessa an die Zeit kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag, als auch sie beschlossen hatte, magersüchtig zu werden. Feli war damals noch nicht in der Pubertät gewesen, und Tessa hatte den Anblick ihres runder werdenden Körpers neben dem knabenhaften ihrer Schwester täglich weniger ertragen. Glücklicherweise hatte Feli zu bluten begonnen, bevor Tessa sich das Essen endgültig abgewöhnt hatte.
Beim
Kaninchenrollbraten auf Artischockenrisotto in Barolojus
blieb Tessa hängen. Wenn sie sich nicht täuschte, hatte Sebastian einmal erwähnt, dass er Kaninchen liebte. Das Foto sah einladend aus, die Liste der Zutaten war eine ganze Seite lang, die Zubereitung klang so kompliziert wie ein mittlerer chirurgischer Eingriff. Es war die richtige Herausforderung für eine Frau, die sich unbesiegbar fühlte und in ihrem ganzen Leben noch nie etwas Komplizierteres als Spaghetti Carbonara gekocht hatte.
Der führende Metzger am Ort blickte skeptisch, als Tessa ihm erklärte, was sie vorhatte. Er bot ihr an, den Kaninchenrücken zu entbeinen, was sie selbstverständlich ablehnte. Sie kaufte ein Filetiermesser für den Fall, dass sie in der Küche keines fand.
Als Tessa schwer bepackt nach Hause kam, war es bereits Nachmittag. Sie verstaute die Einkäufe von der Gänsestopfleber bis zum Limonensorbet im Kühlschrank und ging auf die Dachterrasse, um eine Erholungszigarette zu rauchen. Obwohl sich der Herbst unmissverständlich ankündigte, standen die Teakholzmöbel noch immer dort. Tessa holte eine der hellen Leinenauflagen aus dem Schlafzimmerschrank und streckte sich auf dem Deckchair aus. Bisher war es ihr gelungen, eine Begegnung mit Sebastians Eltern zu verhindern. Sein Vater, Doktor Ulrich Waldenfels, war ein bekannter Professor für Germanistik gewesen. Obwohl er schon seit einigen Jahren pensioniert war, hielt er noch immer Vorträge und veröffentlichte lange Aufsätze, die er Sebastian stets in cremefarbenen DIN-A4-Umschlägen zuschickte, und für die sich Sebastian stets in einem langen Telefonat bedankte. (Wobei sich Tessa nicht erinnern konnte, jemals gesehen zu haben, dass Sebastian in einem der Aufsätze gelesen hätte.) Nathalie, Sebastians Mutter, stammte aus einer alten frankorussischen Familie, hatte das Geld in die Ehe mitgebracht und war, bevor sie geheiratet hatte, eine einigermaßen erfolgreiche Pianistin gewesen.
Nur einmal war es knapp geworden. Im letzten Juni, kurz bevor Sebastian und sie in das Loft gezogen waren, hatten seine Eltern sie beide in ihr Haus im Tessin eingeladen. Sebastian hatte Tessa so spät von der Einladung erzählt, dass sie Mühe gehabt hatte, sich noch einen unverschiebbaren anderen Termin für dieses Wochenende zu organisieren.
Ein einziges Mal hatte Tessa mit Nathalie Waldenfels telefoniert, als Sebastian sie gezwungen hatte, sich für das Glas hausgemachter (angeblich von ihr selbst und nicht von der Köchin!) Erdbeermarmelade mit Marc de Champagne zu bedanken, das seine Mutter ihm an jenem Wochenende mitgegeben hatte.
In dem Kaninchenrezept hatte nichts davon gestanden, wie lange die Zubereitung dauerte. Um nicht
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