Die Brut
von einem Glück, das sich einfach, dösig und weitläufig (eine abendliche Terrasse in der Toskana?) anfühlte, wusch Tessa jetzt Mangold, schnitt Karotten, Schalotten, Lauch und Sellerie, zerdrückte Knoblauch, häckselte Poulardenbrust und Gänseleber, zupfte an Rosmarin und Thymian, zählte weiße Pfeffer- und Pimentkörner ab, blanchierte, röstete und rührte. Als der Barolo-Portwein-Geflügel-Jus zu köcheln begann, erlaubte sie sich die erste Pinkelpause. Zu dem schlichten Glücksgefühl hatte sich Stolz gesellt.
Tessa hatte das Bad schon verlassen, da fiel ihr der weiße Zauberstab ein, der seit Stunden in dem Joghurtglas stand. Sie kehrte um. Hinter dem kleinen Fenster, wo sich das Testfeld befand, war ein schmaler blauer Streifen zu sehen. Einem unsinnigen Reflex folgend schloss Tessa die Augen. Der Streifen war nie blau gewesen. Es musste ein Fehler sein. Der Streifen im Kontrollfeld, der anzeigte, dass der Test funktionierte, der war blau. Aber nicht der Streifen im Testfeld. Hunderte Male hatte sie den Test schon gemacht. Und nie war da ein blauer Streifen gewesen. Es konnte nicht sein. Als Tessa die Augen öffnete, war der blaue Streifen immer noch da. Sie warf den Test in den Müll, kippte den Urin ins Klo und versuchte, ein paar neue Tropfen ins Glas zu pressen. Es kam nichts. Sie hielt den Kopf unter den Wasserhahn, trank lauwarmes Wasser. Dabei fiel ihr ein, dass Rückstände im Joghurtglas am falschen Testergebnis schuld sein könnten. Sie rannte in die Küche und holte ein sauberes Wasserglas aus dem Schrank. Als sie wieder auf der Toilette saß, wollte immer noch nichts kommen. Sie kitzelte und zupfte zwischen ihren Beinen, bis es brannte. Endlich schoss ein kurzer Strahl hervor, von dem ihr das meiste über die Finger lief. Tessa riss einen neuen Schwangerschaftstest auf. Mit angezogenen Knien auf dem Klodeckel kauernd verfolgte sie, wie der Urin den gepressten Wattestab hochkroch und im weißen Plastikgehäuse verschwand.
Komm. Komm.
Es konnte nicht sein. Nach einigen Minuten verfärbte sich der Kontrollstreifen im ersten Fenster abermals blau. Der Teststreifen im zweiten Fenster blieb unsichtbar.
Gut. Nichts zu sehen. Gut. Ein chemisches Versagen. Kann passieren. Gut
. Der zweite Streifen verfärbte sich blau.
Tessa schloss wieder die Augen. Es konnte nicht sein. Es war unmöglich. Sie konnte nicht schwanger sein. Nicht jetzt. Nicht mit der Aussicht auf
Kanal Eins
. Sie würde später noch einen Test machen, und dann würde sich herausstellen, dass alles ein Irrtum war.
Tessa wusch sich die Hände und ging in die Küche zurück. Alles war gut. Einfach nur weitermachen. Sie trank einen Schluck von dem Barolo. Der Jus köchelte vor sich hin. Gleich würde sie die Kaninchenbauchlappen mit der Gänseleber-Poulardenbrust-Farce bestreichen, mit dem blanchierten Mangold belegen, ein wenig Kaninchenleber darüber verteilen, alles zusammenrollen und am Schluss ins Schweinenetz einschlagen. Alles war gut.
Das Schweinenetz schwamm noch immer in der Wasserschüssel. Tessa strich über eine der Blasen, die die Membran an der Wasseroberfläche geschlagen hatte. Es würde bestimmt Spaß machen, die Rouladen darin einzuwickeln. Und es stank auch gar nicht mehr so schlimm, wie sie anfangs befürchtet hatte. Sicher gab es in dem Kochbuch noch mehr Rezepte mit Schweinenetz. Es würde ihr Markenzeichen. Sebastian würde vollkommen beeindruckt sein. Jetzt musste sie es nur noch hinkriegen, das Ding aus dem Wasser zu heben. Fasste sie es in der Mitte an, würde es bestimmt zerreißen. Deshalb war es sehr praktisch, dass dieses Schweinenetz am Rand breite wulstige Fettränder hatte. Wie klug sie sein konnte, die Natur …
Immer wieder entglitschte das Schweinenetz Tessas Händen.
Denk an die Fischer auf Capri. Die holen auch ihre Netze ein, in denen Fische und Krebse und Seetang hängen. Sei nicht so empfindlich. Das ist alles ganz natürlich. Das bisschen Geruch …
Das Schweinenetz fiel ins Wasser zurück. Tessa schlug die Hand vor den Mund. Sie schaffte es gerade noch bis zur Spüle.
Als sich um Viertel vor acht die Fahrstuhltüren öffneten, wehte Essensduft durchs ganze Loft. Tessa hatte ein schwarzes Kleid angezogen, das elegant, aber nicht übertrieben war. An den Füßen hatte sie ihr zweithöchstes Paar Absätze. Sebastian ließ seine beiden Koffer noch im Fahrstuhl fallen.
»Tessa. Was ist denn hier los? Um Gottes Willen.«
Sie ging zu ihm und küsste ihn. »
Welcome back
.«
Sebastian küsste
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