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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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darüber gegeben, dass der Schauspieler Sebastian Waldenfels seine Partnerin verlassen hatte und mit der Fernsehmoderatorin Tessa Simon zusammengezogen war. Eigentlich hatte die Zeitschrift eine größere Story bringen wollen, aber Sebastian hatte mit dem Anwalt gedroht, und auch Tessa war es nicht gelungen, ihn umzustimmen.) Im nächsten Jahr sah die Welt anders aus. Wenn sie die Sendung auf
Kanal Eins
moderierte, würde sie ständig im Heft auftauchen. Erfahrungsgemäß reichten bereits neun oder zehn Nennungen, um es in die Jahresendliste zu schaffen. Sie würde zu allen wichtigen Partys, von denen im Heft berichtet wurde, eingeladen, und mit der Aussicht auf einen Top-Ten-Platz würde sie auch öfter hingehen.
    Generation Fruchtzwerg
    Tessa spürte, wie sich ihr Rücken verkrampfte. Sie hatte wahllos eine Seite aufgeschlagen. Außer dem großlettrigen Titel füllte ein Foto das Doppelblatt. Links war eine junge Frau mit Sommersprossen und Doppelkinn zu sehen, die siegesgewiss lächelte. Der Mann neben ihr hob stolz einen Säugling in die Höhe. Der Himmel um die Familie herum war vergissmeinnichtblau.
    Es gibt so viele Wege wie nie, Kinder, Karriere, Lifestyle und Freunde miteinander zu verbinden,
las Tessa, und das Ziehen in ihrem Rücken wurde schlimmer
. Junge Eltern machen es vor. Lässig integrieren sie die Kleinen in ihr Leben und wollen vor allem eines: Spaß
.
    Doktor Tatjana Goridis war eine Frau in den frühen Fünfzigern mit ovalem Gesicht und grauen Haaren, die sie stets zum Knoten hochgesteckt trug. Unter ihrem weißen Kittel schaute wie immer eine zurückhaltend gemusterte Bluse hervor.
    »Wenn Sie mit dem Gesäß bitte noch ein wenig nach vorn kommen. Danke.«
    Tessa versenkte sich in den Anblick einer weiteren abstrakten Frauenaktgraphik, während Doktor Goridis zwischen ihren Beinen abtauchte.
    »Und entspannen.«
    Selbstverständlich hatte sich Feli damals zuerst untersuchen lassen. Sie hatte gequietscht und gekichert, während Tessa auf einem der beiden Plastikwebstühle gesessen und den Apothekenkalender mit den drei gelben Entchen angestarrt hatte, der über Doktor Prätschs Schreibtisch hing.
Mann, ist das geil
, hatte Feli ihr ins Ohr geraunt, als sie fertig war.
    Bitte, lass mich nicht schwanger sein
, dachte Tessa jetzt.
Ich höre auch auf zu rauchen, damit ich bis ans Ende meiner fruchtbaren Tage die Pille nehmen kann. Ich lasse mich sterilisieren. Ich werde nie wieder mit einem Mann schlafen. Ich

    »Sieht alles gut aus.« Doktor Goridis tauchte zwischen Tessas Knien auf. »Dann mache ich mal den Ultraschall.«
    Tessa sah ihr dabei zu, wie sie mit routiniertem Griff ein Kondom über den Ultraschallstab rollte. Sie musste an die Schachtel
Lubrex extra feucht
denken, die in einer Nachttischschublade vergeblich auf ihren Einsatz gewartet hatte.
    Auf dem kleinen Bildschirm begann es zu flimmern. Doktor Goridis drehte ihn so, dass auch Tessa darauf schauen konnte. Schon bei früheren Ultraschalluntersuchungen war es ihr nicht gelungen, sich vorzustellen, dass das, worauf sie starrte, ihr eigener Unterleib war. Sie hätte eher geglaubt, dass sie durch ein Periskop in einen sehr abgelegenen Winkel der Tiefsee schaute. Angestrengt starrte sie auf das Flimmern.
    »Das ist der linke Eierstock. Das ist der rechte Eierstock.« Doktor Goridis rührte mit dem Stab in ihr herum, das schwarze Gewölk bewegte sich. »Das ist Ihre Gebärmutter. Und das –«, die Ärztin hörte auf zu rühren. »Sehen Sie diesen kleinen weißen Punkt hier?«
    Tessas Herz setzte einen Takt lang aus.
Ein Punkt. Ich sehe nichts. Selbst wenn. Was ist schon ein Punkt?
    Doktor Goridis drückte einen Schalter am Monitor, und das schwarze Gewölk fror ein.
    »Ja, Frau Simon. Sie sind schwanger.«
    In der Fußgängerzone der Kreisstadt hatten sie gestanden. Jeden Samstag. Hinter ihrem Sperrholztisch, der mit Flugblättern und Heftchen beladen war. Vor den Stellwänden mit den Fotos von sehr kleinen Babys in Schwimmblasen, die anfangs noch gar nicht wie Babys, sondern eher wie Kaulquappen aussahen, bis sie Finger, Zehen und eine Nase bekamen. Das Baby auf dem letzten Foto sah sogar aus, als ob es am Daumen lutschen würde.
    Mama, was ist Abtreibung
, hatte Tessa ihre Mutter, die damals noch lebte, gefragt. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was ihre Mutter geantwortet hatte. Vielleicht gar nichts, vielleicht war sie zu sehr mit der Frage beschäftigt gewesen, wie sie das Geschwür, das in ihrer Brust wuchs, loswerden konnte.

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