Die Brut
der Schule zu Doktor Prätsch mussten, legte Tessa die Hände auf den Unterleib, verzog schmerzvoll das Gesicht und schüttelte den Kopf. Beim dritten Mal beschwerte sich nicht nur Feli, die sich von ihrer älteren Schwester betrogen fühlte, auch ihre Stiefmutter bestand darauf, die blutige Binde zu sehen. In ihrer Not leerte Tessa im Badezimmer eine Flasche rotes Desinfektionsmittel in eine der extradicken Binden, die sie sonst nur nachts einlegte. Ihre Stiefmutter schalt sie eine Verschwenderin und Lügnerin. Feli nannte sie
Feigeline
. Ein Wort, das sie damals oft benutzte, wenn sie Tessa ärgern wollte.
Im Wartezimmer von Doktor Prätsch saßen mindestens zehn Frauen. Mädchen, die noch jünger waren als Feli. Frauen, die älter waren als ihre Großmutter. Um sich nicht vorstellen zu müssen, was diese Frauen zwischen den Beinen hatten, vermied Tessa es, sie anzuschauen, und versenkte sich in den Anblick ihrer Schuhe. Braune Halbschuhe mit Lochmuster und schief getretenen Absätzen sah sie dort. Rosa Sandalen aus billigem Plastik, die dazugehörigen Zehennägel glitzrig lackiert. Als sie vom vielen Nach-Unten-Starren einen steifen Nacken bekam, fing sie an, die Plakate zu lesen, die überall mit Tesafilm an die Wände geklebt waren. MutterKind-Schwimmen. Krebsvorsorge. Schwangerschaftsgymnastik. Feli saß neben ihr, studierte die Titten- und Tampon-Tips in irgendeiner Teenie-Zeitschrift und stieß sie immer wieder kichernd in die Seite. Für sie war der erste Besuch beim Frauenarzt ein größerer Spaß gewesen als der letzte Ausflug in den Holidaypark.
Tessa goss sich nun doch den Orangensaft ein, nippte ein wenig und ließ ihn stehen. Ihr war schlecht. Sie fragte sich, ob sie auf dem Flur eine Zigarette rauchen konnte, und verwarf den Gedanken. In den drei Jahren, die sie zu Doktor Goridis ging, war ihr in der ganzen Praxis noch nie eine andere Patientin begegnet. Die Schwestern, die hier arbeiteten, lotsten ihre prominenten Patientinnen geschickter aneinander vorbei als jede Madame die Freier.
Theresia, ich bin froh, dass du dich jetzt schützt. Aber du weißt ja, wie ungesund die Pille ist. Und, das wollte ich dich sowieso schon seit längerem fragen: Du rauchst doch nicht etwa? Dir ist hoffentlich klar, dass du auf keinen Fall rauchen darfst, wenn du die Pille nimmst.
Warum hatte sie die Pille abgesetzt? Wegen des Schwachsinns, den ihr ihre Stiefmutter ins Hirn geimpft hatte? Doktor Goridis hatte ihr gesagt, dass sie ruhig noch ein paar Jährchen weiter rauchen und die Pille nehmen konnte.
Mehr als fünfzehn Jahre hatte sie den hormonellen Schutzschild aufrechterhalten, ganz gleich, ob sie ein Sexleben hatte oder nicht. In den letzten Monaten vor Sebastian, nachdem sie sich endgültig von Piet, dem glücklosen Filmemacher, getrennt hatte, der seit ihrem Aufstieg ins Fernsehen immer unerträglicher geworden war, hatte sie definitiv keines gehabt. Hier noch mal ein Zeitungsredakteur. Da ein Produktionsassistent. Es hatte alles keinen Spaß gemacht. Die meisten Männer, mit denen sie zu tun hatte, verbaten sich, weil sie mit ihnen zusammenarbeitete. Die wenigen anderen Männer, die sie bei irgendwelchen Partys, Empfängen oder Abendessen kennen gelernt hatte, hatten sich von selbst verboten. Eines Zyklusanfangs hatte sie beschlossen, es sein zu lassen. Seit Wochen fragten die kleinen Pillen, die sie jeden Morgen aus dem Streifen drückte, immer lauter:
Wofür eigentlich?
Vielleicht hatte sie auch darauf spekuliert, dass sich das Gesetz des Regenschirms erfüllen würde. (Hast du einen dabei, bleibt es trocken. Lässt du ihn zu Hause, regnet es.) Keine zwei Monate, nachdem sie die Pille abgesetzt hatte, hatte sie Sebastian kennen gelernt.
Tessa betrachtete die Zeitschriften, die ordentlich aufgefächert neben den Getränken lagen. Gewohnheitsmäßig griff sie nach dem Heft, das die buntesten Prominentengeschichten hatte, und schlug es hinten auf, dort, wo – wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit – das Personenregister war. Sie ärgerte sich, als sie ihren Namen nicht fand. Wieso gab es keine Meldung über ihren Wechsel zu
Kanal Eins
. Ihr Aufstieg wäre definitiv einen Artikel wert gewesen. Sie musste mit Attila reden.
Trotz allem konnte Tessa ein Lächeln nicht unterdrücken. Zu jedem Jahresende gab die Zeitschrift bekannt, welche zehn Namen die meistgenannten der letzten zwölf Monate waren. In diesem Jahr würde sie es höchstens auf zwei Einträge bringen. (Im Sommer hatte es eine kurze Notiz
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