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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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konnte. Sie fragte sich, wie Feli die Geburt überstanden hatte. Feli hatte mindestens so schmale Hüften wie sie, und Curt war ihr schon immer extrem großschädelig vorgekommen. Bislang hatte sie ihrer Schwester noch nicht erzählt, dass sie schwanger war. Der Gedanke, Feli die Schwangerschaft komplett zu verheimlichen und ihr irgendwann in sieben Monaten einfach das schreiende Kind an den Hörer zu halten, erheiterte sie.
    Am 44. Tag bedecken die Augenlider den gesamten Augapfel. Zwischen dem 46. und 48. Tag bilden sich die ersten Knochen – immer am Oberarm. In der siebten und achten Lebenswoche des Embryos nimmt der Daumen Gestalt an, und es entstehen die bleibenden Linien an den Handinnenflächen, den Fingerkuppen und den Fußsohlen. Am Ende des zweiten Monats sieht der Embryo bereits wie ein winziges Baby aus.
    Wieder wanderte Tessas Hand zu ihrem Bauch. Sie hatte keine Schmerzen. Sie spürte gar nichts. Doktor Goridis hatte sie beruhigt. Es sei normal, dass sie im Unterleib außer einem gelegentlichen Ziehen noch nichts spürte. Sie würde das Kind erst spüren, wenn es anfing, sich zu bewegen. Und das konnte frühestens im Januar sein.
    Wie in einem Daumenkino ließ Tessa die Entwicklung des Kindes vom weißen Punkt über die Kaulquappe hin zu etwas Menschartigem an sich vorüberziehen. Wie sollte sie das nennen, das in diesem Moment in ihr wuchs? Noch einmal blätterte sie zur neunten, zehnten Woche zurück. Ein Reptil vom Mond. Krumm, weiß, molluskig. Bei aller Liebe konnte sie kein
winziges Baby
ausmachen. Tessa schob auch dieses Buch ins Regal zurück.
    Sie schaute sich um. Die Buchhandlung, die zu einer großen Kette gehörte, war noch immer kaum besucht. Sie selbst hatte diese Vorortfiliale vor einer Viertelstunde zum ersten Mal betreten. Eine Weile war sie vor der Ladenzeile auf- und abgegangen, hatte die welken Fischbrötchen im Schaufenster links und das Preisinferno im Schaufenster rechts betrachtet, bis sie entschieden hatte, die Sonnenbrille und die Baseballcap, die sie in der Tiefgarage des Einkaufscenters aufgesetzt hatte, wieder einzustecken. Sie hatte sich nicht geschminkt am Morgen, die Haare nicht gewaschen und den ältesten Parka angezogen, den sie in Sebastians Kleiderschrank gefunden hatte.
    Dunkle Brille, Hut, vergiss den Kram. Das machst du nur, wenn du in jedem Fall erkannt werden willst. Einfach scheiße aussehen, das ist die beste Tarnung
. Irgendein Filmsternchen hatte Tessa bei einem ihrer ersten TV-Empfänge diesen Rat gegeben.
    Unbehelligt griff sie nach einem der Bücher, die auf dem Tisch am höchsten aufgestapelt waren. Offensichtlich ein Bestseller. Die Frau auf diesem Cover war noch runder, hatte noch latzigere Latzhosen an als die auf dem ersten und lächelte noch glücklicher.
    »Wie fühlt sich das eigentlich an, schwanger zu sein?« So fragte neugierig eine Bekannte, ganz zu Anfang meiner ersten Schwangerschaft. Ja, wie fühlte es sich eigentlich an? Wir saßen in einem etwas verrauchten Kellerlokal. Ich spürte noch gar nicht viel, mir war noch nicht einmal besonders schlecht. Ich wusste nur in meinem Kopf, dass in meinem Bauch ein Kind wuchs. Da kam mir ganz spontan die Antwort: »Ich fühle mich nicht mehr als Sackgasse!«
    Tessa ließ das Buch sinken. Sie konnte nicht sagen, was in diesem Moment stärker war, der Drang nach einer Zigarette oder die Übelkeit.
    »Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?«
    Sie fuhr herum. Die Buchhändlerin, die vor ihr stand, war einen Kopf kleiner als sie, hatte kurze Haare, ein leicht glänzendes, flaches Gesicht.
    »Nein, nein, danke«, sagte Tessa schnell, »ich komme schon zurecht.«
    So beiläufig wie möglich legte sie das Buch auf den Stapel zurück. Ein Regal weiter begann die Astrologie, vielleicht sollte sie dorthin umziehen.
    »Sind Sie nicht Tessa Simon?«
    Tessa schaute zu der Frau zurück, und deren Gesicht kam ihr nicht mehr ganz so flach vor. »Ja«, sagte sie.
    »Ach, das ist ja toll. Ich bin ein Riesenfan von Ihrer Sendung.«
    Tessa fasste nach ihrer Handtasche. Bestimmt fand sie noch eine Autogrammkarte.
    Als wittere sie die Beute, kam die Buchhändlerin näher. Und mit gesenkter Stimme fragte sie: »Sie sind doch nicht etwa schwanger?«
    Tessas Finger hatten gerade etwas ertastet, das es in ihrer Tasche eigentlich nicht mehr geben sollte und sich verdammt nach einer Zigarettenschachtel anfühlte.
    »Nein.« Sie schüttelte lachend den Kopf. »Meine Schwester. Die bekommt ein Kind.«
    Erst, als sie wieder im Auto

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