Die Brut
in der Tiefgarage saß, merkte Tessa, dass sie die Zigarettenschachtel zerquetscht hatte.
Es war nach zehn, und sie lagen beide noch im Bett. Ihr Leben hatte sich verändert in den letzten Wochen. Sebastian pfiff, er sprang über Türschwellen, sah jeden Tag jünger aus. Auch wenn er im Theater Vorstellung hatte, kam er so früh nach Hause wie nie. Er kochte aufwändig, ganz gleich, ob es Mittag oder Mitternacht war, Tessa hatte bereits drei Kilo zugenommen.
Abgesehen davon, dass ihre Brüste größer geworden waren – die Sport-BHs waren die einzigen, die ihr noch passten – und dass sie weiterhin jeden Tag kotzte, fühlte Tessa sich fit. Sebastian hatte sie dennoch überredet, mit dem Joggen aufzuhören. Nun ging sie drei Mal die Woche im größten der neuen Fünf-Sterne-Hotels schwimmen und ließ sich anschließend massieren. Elena, die deutsch-russische Hebamme, die Doktor Goridis empfohlen hatte, hatte ihr gesagt, dass regelmäßiges Ölen und Massieren das einzige Mittel gegen Schwangerschaftsstreifen sei. Die Reste der letzten Zigarettenschachtel hatte Tessa freiwillig in den Müll geworfen. Am Sonntag hatten Sebastian und sie beim Frühstück eine Tasse Kaffee und ein Glas Champagner getrunken und geschworen, dass dies für sie beide für lange Zeit das letzte Mal gewesen sei.
Sebastian wälzte sich zu Tessa herum und fuhr mit der Hand unter das T-Shirt, das sie neuerdings zum Schlafen trug. Sie hatte Sebastians Liebe zu ihren Brüsten immer gemocht. Besonders in der Zeit, in der diese gewachsen waren und die Warzenhöfe sich bedrohlich verdunkelt hatten. Aber seit dem Morgen, an dem Sebastian an ihrer Brust gesaugt hatte und plötzlich mit diesem merkwürdigen Gesichtsausdruck und einem gelblich-weißen Tropfen an der Lippe wieder aufgetaucht war, ertrug sie es nicht, wenn er sich ihren Brüsten näherte.
»Musst du nicht längst im Theater sein?«
Sebastian schüttelte den Kopf. »Diese dumme Wiederaufnahmeprobe ist erst am Nachmittag.«
»Entschuldige. Mir ist schon wieder übel.«
Sie schwang ihre Beine zu schnell aus dem Bett, ihr wurde schwindlig. Sebastian stützte sie an den Schultern.
»Warte. Ich bin gleich wieder da.« Er sprang aus dem Bett, sie hörte ihn unten in der Küche hantieren, und wenige Minuten später kam er mit einer großen Tasse ans Bett zurück.
Tessa schnupperte. Ein scharfer Geruch stieg aus der Tasse auf. »Was ist das?«
»Ingwertee mit Honig. Das hilft gegen deine Übelkeit.«
Sie trank einen Schluck und verzog das Gesicht. Sebastian schaute sie an. Glücklich. Als ob er erwartete, dass sie als nächstes Bäuerchen machte. »Meine Mutter hat gesagt, Ingwer wäre das Einzige gewesen, was ihr damals geholfen hat.«
»Deine Mutter?« Tessa stellte die Tasse beiseite und richtete sich auf. »Du hast deiner Mutter erzählt, dass ich schwanger bin?«
»Selbstverständlich.«
Sie schaute so lange in die Novembersonne, bis vor ihren Augen kleine Lichtmuster herabzurieseln begannen.
»Tessa, sei nicht albern.«
»Ist schon okay.«
»Nein. Offensichtlich ist etwas nicht okay.« Sebastian kniete auf dem Bett und versuchte, ihr Gesichtsfeld zu erobern. »Sag mir jetzt nicht, dass du beleidigt bist, weil ich meinen Eltern erzählt habe, dass wir ein Kind bekommen.«
»Ich bin nicht beleidigt.«
Tessa setzte ihre Füße auf den Boden. Sie riskierte es aufzustehen.
»Was machst du?«
»Ich gehe laufen.«
Eine Weile schaute ihr Sebastian schweigend dabei zu, wie sie ihre Schränke durchwühlte. Sie konnte sich nicht erinnern, in welche Schublade sie die Winter-Jogging-Klamotten letztes Frühjahr gestopft hatte.
»Elena hat mir gesagt, dass ich ruhig laufen gehen soll, wenn mir danach ist.«
Endlich fand Tessa eine ihrer dickeren Hosen. Sie war zu sehr damit beschäftigt, das passende Oberteil zu suchen, als dass sie Sebastian davon hätte abhalten können, stumm ins Bad zu gehen.
I
ch bin schwanger.«
Attila schaute Tessa so ausdruckslos an, dass sie kurz zweifelte, ob sie nicht aus Versehen »Bei Schumacher gibt es jetzt tolle Hemden im Sonderangebot« gesagt hatte.
Lange hatte sie für diesen Moment geübt. Zu Hause vor dem Kleiderschrankspiegel gestanden und alle Varianten des
Du-übrigens
ausprobiert. Kein Wort war über ihre Lippen gekommen, so wie es ihr damals, als ihre Stiefmutter sie noch in die Kirche geschleppt hatte, nicht gelungen war, einen einzigen geklauten Radiergummi zu beichten.
Tessa schaute in den großen Schminkspiegel und sah Attilas noch
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