Die Brut
Sebastian eine Liebesszene zu spielen.
»Stella! Du liegst auf deinem Angesichte, blickst sterbend nach dem Himmel und ächzest: Was hab ich Blume verschuldet, dass mich dein Grimm so niederknickt! – Cäcilie! Mein Weib! O mein Weib! Elend! Elend! Tiefes Elend!«
Tessa begriff nicht, was Sebastian da spielte. Es war offensichtlich, dass er von seiner Cäcilie nichts mehr wollte. Die Szenen waren so lustlos heruntergespielt, dass Tessa nicht mal einen Krümel
Gnadenbrot
sah. Andererseits hatten die Liebesszenen mit Stella auch nicht gerade den Duft der Leidenschaft verströmt. Wahrscheinlich spielte er, dass er keine von beiden mehr haben wollte. Aber was machte das alles dann für einen Sinn? Bestimmt war es die Idee des Regisseurs gewesen, Sebastian den
Ich-bin-über-die-ganzen-Weiber-raus
spielen zu lassen.
Er war gerade damit beschäftigt, eine Pistole zu laden, als abermals Carola auf die Bühne kam.
»Mein Bester!«,
begrüßte sie ihn aufgeräumt.
»Wie ist uns? Das sieht ja reisefertig aus.«
Sie nahm ihm die Pistole ab und tat, als visiere sie ein Ziel im Zuschauerraum an.
»Mein Freund!«,
redete sie weiter, ohne die Pistole herunterzunehmen.
»Du scheinst mir gelassener. Kann man ein Wort mir dir reden?«
»Was willst du, Cäcilie?«,
gab Sebastian zurück, als habe er eine Woche nicht mehr geschlafen.
»Was willst du, mein Weib?«
»Nenne mich nicht so, bis ich ausgeredet habe. Wir sind nun wohl sehr verworren; sollte das nicht zu lösen sein?«
Tessa ließ sich auf ihrem Sitz etwas tiefer rutschen. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Carola mit der Pistole in Richtung Rang zielte. Es war lächerlich. Unmöglich konnte Carola sie sehen.
»Ich hab viel gelitten, darum nichts von gewaltsamem Entschließen. Ich bin nur ein Weib, ein kummervolles, klagendes Weib; aber Entschluss ist in meiner Seele. Fernando! Ich verlasse dich!«
Endlich senkte Carola die Pistole und warf sie auf den Couchtisch. Vor Erleichterung hätte Tessa beinahe geseufzt.
Und auch Sebastian fragte spöttisch: »Kurz und gut?«
Aber Carola ging nicht. Tessa verzog das Gesicht. Sie hätte es ahnen können. Eine wie Carola ging nie, wenn sie zu ihrem Mann sagte, dass sie jetzt gehen würde.
»Meinst du, man müsse hinter der Tür Abschied nehmen, um zu verlassen, was man liebt?«
Carola machte zwei Schritte auf Sebastian zu und suchte seinen Blick. Aller Spott, alle Überheblichkeit waren aus ihrer Haltung verschwunden.
»Ich werfe dir nichts vor und glaube nicht, dass ich dir so viel aufopfre. Bisher beklagte ich deinen Verlust; ich härmte mich ab über das, was ich nicht ändern konnte. Ich finde dich wieder, deine Gegenwart flößt mir neues Leben, neue Kraft ein.«
Tessa spürte, wie sich ihre Hände auf den beiden Lehnen, die sie rechts und links okkupiert hatte, verkrampften.
»Fernando«,
redete Carola leidenschaftlich,
»ich fühle, dass meine Liebe zu dir nicht eigennützig ist, nicht die Leidenschaft einer Liebhaberin, die alles dahingäbe, den erflehten Gegenstand zu besitzen. Fernando! Mein Herz ist warm, und voll für dich; es ist das Gefühl einer Gattin, die, aus Liebe, selbst ihre Liebe hinzugeben vermag.«
Die alte Schlange! Das billigste Lied, das alle verlassenen Weiber der Welt seit Penelope sangen, um ihre Männer zurückzuerobern! Komm heim! In meinem Hafen gibt es keinen Sturm! Und wenn du mal wieder auf Irrfahrt gehen willst! Schau, sogar dafür habe ich Verständnis!
»Ich will entfernt von dir leben und ein Zeuge deines Glücks bleiben. Deine Vertraute will ich sein; du sollst Freude und Kummer in meinen Busen ausgießen. Deine Briefe sollen mein einziges Leben sein, und die meinen sollen dir als ein lieber Besuch erscheinen …«
Tessa schlug die Hand vor den Mund. Sie hatte laut aufgelacht. Die Studentin warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
Endlich raffte sich Sebastian auf, auch etwas zu sagen.
»Als Scherz wär’s zu grausam«,
fing er an.
»Als Ernst ist’s unbegreiflich. Der kalte Sinn löst den Knoten nicht. Was du sagst, klingt schön, schmeckt süß. Wer nicht fühlte, dass darunter weit mehr verborgen liegt – dass du dich selbst betrügst, indem du die marterndsten Gefühle mit einem blendenden eingebildeten Troste schweigen machst. Nein, Cäcilie! Mein Weib, nein!«
Tessa entspannte sich wieder. Vielleicht war das Stück doch nicht so dumm.
Plötzlich veränderte auch Sebastian seine Haltung, kroch aus seinen Schultern, zwischen die er sich während der letzten Sätze
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