Die Brut
Beckenboden noch mehr fallen lassen …«
Tessa hatte nicht die Absicht, mit Attila darüber zu reden, aber ihr Ziel stand fest. Bis zur Sommerpause vier Millionen. Das
Now!
-Heft mit ihrer Titelgeschichte musste nun bald erscheinen, es würde sie wieder nach oben bringen, und höher als je zuvor.
»Die Augen bleiben geschlossen … Die Stirn ist ganz entspannt … Der Unterkiefer fällt auf die Brust …«
In letzter Zeit wurde Tessa oft übel, wenn sie auf dem Rücken lag. Das südnepalesische Krummhorn mischte sich mit Elenas Stimme zu einem akustischen Geschunkel, das ihre Übelkeit verstärkte. Die Hebamme hatte ihr erklärt, dass ihr Sohn auf die untere Hohlvene drücke und so den Blutrückfluss zum Herzen behindere.
»Die Zunge liegt entspannt am Gaumen … Entspannt bis in die Wurzel …«
»Ich glaube, das reicht.« Tessa setzte sich mühsam über die Seite auf. Mit dem Zipfel des Handtuchs, das sie untergelegt hatte, wischte sie sich die Stirn. Sie schwitzte mehr, als sie früher nach zwanzig Liegestützen geschwitzt hatte.
»Wir haben doch gerade erst angefangen.« Die Hebamme, die selbst die Augen geschlossen hatte, schaute Tessa nun an.
»Ich weiß, aber ich hab noch so viel zu tun.«
»Es ist wichtig, dass du lernst, dich zu entspannen.«
»Nächstes Mal wieder. Es ist doch noch ewig hin bis zur Geburt.«
Tessa setzte das Lächeln auf, das sie schon seit vielen Jahren nicht mehr ausprobiert hatte. Ein bisschen kleines Mädchen. Viel
bitte, bitte
.
Elena ging nicht darauf ein. »Du solltest die Angelegenheit ernster nehmen«, sagte sie. »Ein Kind zu bekommen, bedeutet eine riesige Veränderung im Leben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass dir das noch nicht richtig klar ist.«
»Natürlich ist mir das klar. Ich hab jetzt bloß keinen Nerv für diesen Eso-Kram.«
»Wenn die Wehen losgehen, bist du froh, dass du diesen
Eso-Kram
kannst.«
Tessa zog das Handtuch ganz unter sich hervor und legte es sich um den Hals. »Du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass eine entspannte Zunge mein Kind daran hindern wird, mich bei der Geburt auseinander zu reißen.« Ihre Stimme hatte schärfer geklungen als beabsichtigt.
Elenas Blick verwandelte sich von Vorwurf in Mitleid. Sie legte die Hand auf Tessas Oberarm. »Es ist normal, dass du Angst hast. Aber ich sage dir: Der menschliche Körper kann Erstaunliches leisten. Wenn er entspannt ist.«
»Ich kenne die Geschichten von diesen chinesischen Akrobatinnen, die ganze Melonen zwischen ihren Beinen verschwinden lassen.«
Elena zog ihre Hand von Tessas Arm zurück. »Die Geburt wird die Hölle, wenn du deine Einstellung nicht änderst. Denn: ja. Geburt bedeutet Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen.« Einen Moment glaubte Tessa in dem Gesicht mit den breiten Wangenknochen so etwas wie Hass gesehen zu haben. Doch da hatte Elena schon wieder tief ausgeatmet und war zu dem milden Lächeln zurückgekehrt, das ihr Beruf vorsah. »Aber die Schmerzen sind nur furchtbar, wenn du nicht gelernt hast, sie anzunehmen.«
»Ich kann mir ja in Zukunft jeden Tag einen Zehennagel ausreißen, um zu üben«, sagte Tessa und musste gegen ihren Willen grinsen.
»Tessa. Bitte.«
»Ist ja gut. Ich entspanne mich weiter. Tief … Tief … Tief …« Sie drehte sich fötus- und rückenschonend, wie Elena es ihr gezeigt hatte, auf die Seite und ließ sich auf die Matte sinken.
Im unteren Stockwerk blies weiter das Krummhorn.
Ben, der Jungredakteur, war der Erste gewesen, der sie an diesem Märzmorgen angerufen hatte.
»Tessa. Mensch! Hast du schon gesehen? Du hängst in der ganzen Stadt.«
Kaum hatte sie aufgelegt, hatte das Telefon wieder geklingelt. Feli.
Was is’n in dich gefahren
, hatte ihre Schwester gesagt.
Willst du auf deine alten Tage noch Model werden?
Tessa hatte nur gelächelt. Feli war sauer, weil sie ihr die Schwangerschaft verheimlicht hatte. Nach einer der letzten Sendungen hatte ihre Schwester angerufen und ihr an den Kopf geworfen, dass sie ja wohl schwanger sei. Und es das Allerletzte, dass sie der eigenen Schwester nichts davon gesagt habe.
Immer noch lächelnd nahm Tessa den Fuß vom Gaspedal. Seit einer halben Stunde fuhr sie mit ihrem Mercedes durch die Stadt. Elena hatte ihr zwar davon abgeraten, sich selbst noch ans Steuer zu setzen, aber Tessa hatte es zu Hause nicht mehr ausgehalten. An jeder Litfaßsäule, Plakatwand machte sie langsamer. Sie sah unglaublich stolz aus. Kaiserlich. Die Bauchhaut, die unter dem knappen Saum des weißen
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