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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Es waren so viele Leute da.«
    Sebastian ging mit dem Glas in die Küche und kam mit einem feuchten Lappen zurück. Von der Treppe aus sah Tessa, wie er versuchte, den Flecken aus dem Teppich zu reiben. An seinem Hinterkopf entdeckte sie eine Stelle, wo sich die dunkelblonden Haare zu lichten begannen. Die Stelle war ihr noch nie aufgefallen. Sie lächelte, er würde ein guter Vater sein.
    »Ich liebe dich«, sagte sie.
    »Ich dich auch«, sagte er, warf ihr eine Kusshand zu und widmete sich wieder dem Fleck. Er runzelte die Stirn, beugte sich ein wenig tiefer, schnupperte und runzelte noch einmal die Stirn. Bevor er Luft holen konnte, etwas zu sagen, ging Tessa die letzten Stufen zur Schlafgalerie empor.
    Bilder logen. Fremde Köpfe wurden auf fremde Körper montiert, fremde Beine an fremde Rümpfe, fremde Füße an fremde Waden. Dem Betrug waren keine Grenzen gesetzt. Als Kinder hatten sie mit zerschnittenen Bilderbüchern gespielt, um aus einem Papagei, einem Krokodil und einem Elefanten einen Pakofanten zu machen. Heute setzten sie sich an den Computer und machten aus einem schönen Gesicht, einem Busenwunder und einem Zehenmodell die perfekte Frau.
    Zum zigten Mal betrachtete Tessa das Foto, das vor ihr auf dem Bistrotisch lag. Ein großer Kopf. Ärmchen mit winzigen Fingern. Beine mit Füßchen mit mikroskopisch kleinen Zehen. Andere Extremitäten sah sie nicht. Doktor Goridis konnte ihr alles erzählen. Die Frauenärztin musste noch nicht einmal an ihrem Computer herummanipulieren, um Tessa ein X für ein Y vorzumachen.
    Sebastian kam mit wehendem Mantel herein. Er hatte sie zum Ultraschall begleiten wollen. Tessa hatte ihm vorgeschlagen, sich lieber anschließend in ihrem österreichischen Lieblingscafé zu treffen.
    »Und?«, fragte er, kaum dass er ihr den Begrüßungskuss gegeben und sich gesetzt hatte. »Und?«
    »Doktor Goridis meint, dass es ein Junge wird.«
    »Ein Junge!« Der Holzstuhl fiel beinahe um, als Sebastian aufsprang. Er quetschte sich neben Tessa auf die rote Samtbank und drückte sie an sich. »Das ist doch großartig. Hast du das Bild dabei? Zeig!«
    Tessa hob die Zeitschrift, die sie über das Foto geschoben hatte, hoch.
    »Ooohh.« Er hielt das Bild mit beiden Händen schräg in die Höhe, als könne er so besser erkennen. »Es ist ja wirklich schon ein kleiner ganzer Kerl.«
    Der befrackte Kellner brachte die Melange, die Sebastian im Hereinkommen bestellt hatte.
    »Mein Sohn«, sagte Sebastian und hielt dem Kellner das Foto hin. »Ist er nicht großartig?«
    Der Kellner schaute Bild, Sebastian und Tessa an und lächelte. »Ich gratuliere. Darf ich dem Herrn vielleicht ein Glas Champagner vom Haus bringen. Und für die Dame noch einen grünen Tee?«
    »Bringen Sie mir lieber einen doppelten Whiskey«, sagte Tessa.
    Der Kellner lachte. Er schulterte das große Tablett, auf dem noch etliche Apfelstrudel und Melanges warteten, und verschwand.
    Sebastian hatte das Foto zurück auf den Tisch gelegt. Mit dem rechten Zeigefinger fuhr er eine weiße Ader in der rosa Marmorplatte nach. Seine Linke war auf Tessas Oberschenkel liegen geblieben, reglos.
    »Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht in –«
    »Mach dir keinen Kopf«, sagte Tessa und streichelte seine Hand auf ihrem Oberschenkel. »Alles okay.«
    Er drückte ihren Schenkel. »Nein. Es war blöd von mir. Aber das ist alles so … neu, so … aufregend für mich, da benehme ich mich manchmal wie ein Trottel.« Zum ersten Mal schaute er sie wieder an. »Bist du jetzt enttäuscht?«
    »Ich? Wieso?«
    »Wolltest du nicht lieber eine Tochter?«
    Tessa zuckte die Achseln. »Ist schon okay.« Sie hob die Tasse, die vor ihr stand, und trank die letzten drei Tropfen. Sebastian legte einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch und griff nach Tessas Mantel, bevor der Kellner an den Tisch zurückkam.
    Die Quoten waren im Februar leicht gesunken. Rund zweieinhalb Millionen mit einem durchschnittlichen Marktanteil von zwölf Prozent waren immer noch gut.
Für den zweiten Monat ist das sogar ausgezeichnet,
hatte Attila am Telefon gesagt. Aber Tessa wusste, dass mehr möglich war.
    Sie lag auf der roten Gymnastikmatte, auf der sie früher nach dem Joggen ihre Situps und Liegestützen gemacht hatte. Elena kniete neben ihr, eine Hand auf Tessas Bauch. In der Stereoanlage unten im Wohnbereich lief die Kassette mit der südnepalesischen Musik, die Elena zu jeder Entspannungssitzung mitbrachte.
    »Und atmen … Tief atmen … Tief in den Bauch … Und den

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