Die Buchmalerin
Blutlache auf dem Boden bildete. Léon schlug ihr mehrmals ins Gesicht, das Schreien brach ab und verwandelte sich in ein Wimmern.
»Die Frau … Wo ist sie?«
»Ich weiß nicht. Die Frau und der Mann sind gegangen … Vor einer Weile … Ich habe geschlafen.« Ihre Augen waren weit aufgerissen und wirkten beinahe irre vor Entsetzen. Jener Mann, der der Frau geholfen hatte, aus dem Klosterhof zu entkommen … Der Mann, der nachts zu den Benediktinerinnen gekommen war und verlangt hatte, zur Äbtissin geführt zu werden, ging es Léon durch den Kopf. Jetzt endlich hatten sie auch seine Spur wirklich gefunden …
»Der Mann und die Frau, warum waren sie hier?« Wieder schlug er die Kranke.
»Sie haben … Der Mann … Er hat … mir geholfen … Ein Geschwür aufgeschnitten …«
Das schmutzige Hemd der Frau war verrutscht und gab einen frischen Verband auf dem rechten Oberarm frei. Léon riss ihn ab. Zwei säuberliche Schnitte, um deren Ränder sich ein dünner Schorf gebildet hatte, zogen sich durch die Haut. Ein Medicus, dachte er, während er mit gerunzelten Brauen die Wunde betrachtete. Nun, keine schlechte Tarnung für einen Mann, der im Auftrag des Staufers unterwegs war.
»Bring die Soldaten und die Hunde her«, wandte er sich an den Hundeführer, der wartend im Eingang stand.
»Die Frau und der Mann … wohin sind sie unterwegs? Was ist ihr Ziel?«
»Ich kann es Euch nicht sagen. Ich weiß es nicht«, jammerte die Frau.
Das Schreien des Säuglings schwoll an. Léon drehte sich um und griff nach dem Stoffbündel, das von der Decke der Hütte herabhing. Er zerrte das Kind hervor, das sich in seinen Händen wand, und setzte ihm das Messer auf den Leib.
»Wohin sind sie gegangen?«, wiederholte er.
*
Donata zwängte sich hinter Roger durch das Unterholz einen steilen Hang hinauf, als sie das Bellen hörte. Im ersten Moment sagte sie sich, dass sie sich getäuscht hatte, dass es keine Hunde waren, sondern Wölfe, die durch die Wälder streiften. Sie schaute zu Roger, der ebenfalls stehen geblieben war und lauschte. Sein Gesicht verhärtete sich und sie begriff voller Entsetzen, dass Enzios Leute ihre Fährte aufgenommen hatten. Wortlos fasste Roger ihren Arm und zog sie weiter.
Sie bemerkte es kaum, wenn ihr Äste und Zweige ins Gesicht schlugen und sich in ihrem Mantel verfingen oder wenn sie im Schnee ausglitt und Roger sie vorwärts zerrte. Nur undeutlich nahm sie wahr, wie sie sich zwischen Gestrüpp und Baumstämmen weiter aufwärts arbeiteten. Wie dann und wann zwischen Stämmen und kahlen Kronen ein Stück bleigrauer Himmel sichtbar wurde. Wichtig war nur das Bellen der Hunde, das manchmal von fern her erklang, dann wieder näher zu kommen schien. Manchmal setzte es ganz aus. Aber immer wenn sie zu hoffen begann, dass die Hunde die Spur verloren hatten, ertönte es von neuem. Das Netz, das der Kardinal nach mir ausgeworfen hat, dachte sie voller Panik. Habe ich mich nicht schon längst in den Maschen verfangen und zappele darin?
Sie stolperten wieder abwärts. Schnee und welkes Laub gaben unter ihren Füßen nach. Sie verloren das Gleichgewicht, stürzten, rafften sich wieder auf. Ein Tal, das ein gefrorener Bach durchzog, tat sich vor ihnen auf. Sie überquerten den Bachlauf und kämpften sich den jenseitigen Hügel empor.
Der Schmerz in Donatas Fuß war wieder gegenwärtig und schlug sich wie mit einer glühenden Zange in ihre Ferse. Sie keuchte. Kraftlosigkeit machte ihre Glieder schwer. Das Bellen der Hunde … Sie glitt erneut aus. Roger drehte sich zu ihr um. Sein Gesicht war grau vor Erschöpfung. Er fasste sie, zerrte sie hoch und legte sich ihren Arm um die Schulter. Auf ihn gestützt, taumelte sie weiter.
Irgendwann lichteten sich die Baumstämme. Der graue Himmel wurde weithin sichtbar und der eisige Wind griff ungehindert nach ihnen. Sie standen auf der äußersten Spitze eines sattelförmigen Hügels. Zu beiden Seiten fiel der Hang beinahe senkrecht ab. Wirre Gedanken kreisten in Donatas Kopf. Das Gebell der Hunde war noch näher gekommen. Wie würde es sein, wenn die ersten von ihnen aus dem Wald brachen? Die Soldaten … Die Schmerzen … Nach dem Tod war ihr die Hölle gewiss … Dicht bei der Kante des Abgrunds stand ein Strauch. Der Wind hatte die Zweige von Schnee und Eis befreit. Vertrocknete, bräunlich verfärbte Hagebutten hingen von den Ästen. Sie hatte einmal die Blüten und Früchte des Heckenrosenstrauchs für ein Herbarium gemalt. Sie konnte nicht mehr malen
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