Die Buchmalerin
dass er dem Soldaten schon einmal im Hof des erzbischöflichen Palastes begegnet war. Damals, als Léon ihn niedergeschlagen hatte. Ein lachendes Gesicht, das hinter dem Diener erschien … Und das von einer Narbe verunstaltet wurde, bei der ein Medicus schlechte Arbeit geleistet hatte.
Der Soldat fasste ihn an den Haaren, riss seinen Kopf zurück und starrte ihn an. Roger, der sich seltsam ruhig fühlte, wog ab, ob er ihm sein Messer in den Leib rammen sollte. Aber in diesem Moment öffnete sich der schwere Mantel des Soldaten und darunter wurde ein lederner Brustpanzer sichtbar. Schließlich wandte sich der Soldat an den Anführer der Gruppe und sagte auf Italienisch: »Dieser Mann ist kein Köhler. Ich habe ihn schon einmal auf dem Hof des erzbischöflichen Palastes gesehen.«
»Du bist dir sicher?«, wollte der Anführer wissen.
»Ich täusche mich nicht«, entgegnete der Soldat entschieden.
Der Anführer der Gruppe schwieg, während er Roger wieder musterte. Seine Augen waren wachsam. »Er meint, er kennt dich«, sagte er schließlich und wies mit dem Kopf auf den jungen Soldaten. »Vom Hof des Erzbischofs …«
Roger erschien es merkwürdig, diese Worte, gleichsam wie ein Echo, nach dem südlichen Dialekt nun noch einmal in der Sprache zu hören, mit der er aufgewachsen war. Gleichzeitig hatte er noch immer die Empfindung, sich selbst zu beobachten. Er hatte eine Rolle zu spielen …
»Am Hof des Erzbischofs?«, stammelte er. »Aber … Ich war dort noch nie … War noch nie in Köln …«
»Er hat geholfen, einen Wagen zu entladen. Und eine Kiste ist ihm und einem anderen Knecht in den dreckigen Schnee gefallen. Ich erinnere mich genau«, beharrte der junge Soldat.
Auf einen Wink des Anführers hin kreisten die drei übrigen Soldaten mitsamt den Hunden Roger ein.
»Was wollt Ihr von mir?«, stieß er hervor, während er verzweifelt überlegte. Fünf Soldaten, die bewaffnet waren, Brustpanzer trugen und gut abgerichtete Hunde bei sich hatten. Und er hatte nur das Messer … Sein Auftrag … Und Donata, die in der Hütte war …
Der junge Soldat griff nach seinen Armen. Roger schüttelte ihn ab. Er wollte sein Messer ziehen und es ihm ins Gesicht stoßen. Aber eine Bewegung von der Hütte her ließ ihn innehalten. Die Tür hatte sich geöffnet. Donata trat heraus. Ihr Gesicht war sehr bleich, wirkte in dem fahlen Licht des Morgens beinahe grau. Sie hatte ihr Kleid geöffnet und hielt den Säugling in den Armen, der an ihrer nackten Brust saugte.
Roger war so verblüfft, dass er sich nicht länger wehrte, als ihm der junge Soldat die Arme auf den Rücken drehte und die Knöchel mit einem Strick zusammenband. Ihr Blick streifte ihn. Zwei Mal hatte er sie bisher erlebt, als sie bedroht worden war. Beide Male hatte ihre Miene bei aller Angst auch Zorn widergespiegelt. Jetzt war nur Furcht darin zu sehen. Sie stellte sich neben ihn und schmiegte ihren Körper an den seinen. Der große, struppige Hund war ihr gefolgt. Er drängte sich ebenfalls gegen Roger, winselte und bellte die Soldaten und deren Tiere an.
Sie ist verrückt, dachte er. Was tut sie?
Einer der Männer machte einen derben Scherz über Donatas magere Brüste. Die anderen lachten. Der Anführer der Gruppe betrachtete Roger und Donata forschend, ehe er sich dem jungen Soldaten zukehrte.
»Du hast den Mann also am Hof des Erzbischofs gesehen?«
»Ja …«
»Vorhin hast du einen Hasen nicht rechtzeitig bemerkt und zwei Hunde niedergeritten. Ich bezweifle doch, ob deiner Wahrnehmung zu trauen ist.« Beißender Spott lag in der Stimme des Anführers.
»Aber ich bin ihm wirklich im Hof des erzbischöflichen Palastes begegnet …«, protestierte der Gescholtene heftig.
»Mach ihn los!«
Roger spürte, wie sich der Strick um seine Knöchel lockerte und löste. Immer noch merkwürdig distanziert, schaute er zu, wie der junge Soldat, der ihn erkannt hatte, mürrisch von ihm abließ und auf sein Pferd stieg, wie die Soldaten, gefolgt von den Hunden, über die Lichtung ritten und tiefe Spuren in den Schnee rissen. Schließlich fasste er Donata und schob sie in Richtung der Hütte. Danach griff er dem Maultier mit der einen und dem Hund mit der anderen Hand ins Fell und drängte sie ebenfalls in das dämmrige Innere. Die Kranke auf ihrem Strohlager hatte sich aufgerichtet. Er blieb an der Tür stehen und spähte durch einen Ritz zwischen den Brettern nach draußen. Die Soldaten hatten den Rand der Lichtung erreicht und ritten hintereinander in den
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