Die Buchmalerin
sich gedreht«, stieß sie keuchend und mit einem Zweifel in der Stimme hervor, als könnte sie es selbst nicht glauben. »Die Hunde können uns nicht mehr wittern …«
»Ja.« Auch Roger rang nach Atem, registrierte, dass er ebenfalls am Ende seiner Kräfte war. In dem Wehen des Windes, das sich zu einem Heulen steigerte, war das Gekläff der Hunde nur noch gedämpft zu hören. Sie schleppten sich weiter, bis das Schneetreiben so dicht war, dass Roger fürchtete, sie könnten im Kreis laufen. Als sich vor ihnen eine Senke auftat, die von Büschen überwuchert war, krochen sie hinein. Dicht aneinander gedrängt, bargen sie sich unter den Zweigen.
Als der Sturm und der Schneefall schließlich nachließen, war die Nacht angebrochen. Roger, dessen Glieder taub vor Kälte waren, bewegte sich steif und schob die Zweige auseinander. Schnee, der sie in einer dicken Schicht bedeckte, fiel herab. Bis auf einige kleinere Wolkenfelder war der Himmel klar und der Stand der Sterne deutlich zu erkennen. Still breitete sich der Wald um sie aus.
Roger war zu erschöpft, um auch nur einen Funken Erleichterung zu verspüren. Er drehte sich zu Donata um, die in sich zusammengekauert auf dem Boden hockte.
»Sie haben unsere Spur verloren.«
»Ja.« Sie bewegte sich in der Dunkelheit.
»Meint Ihr, dass Ihr weiterkönnt?«
»Für eine Weile …«
Er wollte durch das Strauchwerk nach draußen kriechen. Doch ihre Stimme hielt ihn zurück. »Was ist mit Eurer Schulter. Dort, wo Euch der Hund gebissen hat?«
Erst jetzt empfand er den brennenden Schmerz. Er tastete nach der Stelle, wo sein Mantel und das Hemd zerrissen waren. Da, wo ihn die Zähne des Hundes getroffen hatten, war das Fleisch geschwollen und fühlte sich, soweit er dies mit seinen eiskalten Händen richtig einschätzen konnte, heiß an. Er suchte in seinem Bündel nach dem Fläschchen mit dem Alkohol. Als er es gefunden und den Korken herausgezogen hatte, wand er sich ungelenk und versuchte, den Schnaps auf die Wunde zu träufeln.
»Wartet …« Donata war so dicht neben ihm, dass er sie atmen hörte und ihre Augen in der Dunkelheit schimmern sah. Vorsichtig tastete sie mit den Fingern über die verletzte Haut und goss den Schnaps darüber.
Einen Moment verharrte Roger. Dann sagte er schroff: »Wir müssen weiter.«
*
Nach Tagesanbruch machten sie auf einer kleinen Lichtung Halt. Roger sammelte hastig einige Zweige und dünne Äste und entzündete ein kleines Feuer. Der Wind drückte zum Boden hin, kein Rauch würde weit aufsteigen und sie verraten. Nachdem er ein Tongefäß mit Schnee gefüllt und in die Glut gestellt und einige verschrumpelte Äpfel aus seinem Bündel genommen hatte – ein letzter Rest Nahrung, der aus dem Meiler stammte –, wandte er sich Donata zu. Sie hockte neben ihm auf dem Boden und hatte die Stoffstreifen von ihrem verletzten Fuß gelöst. Ihr Gesicht war blaugrau vor Kälte. Er selbst sah wahrscheinlich nicht sehr viel anders aus, ging es ihm durch den Kopf.
»Lasst mich sehen …« Er beugte sich vor. Als er ihren Fuß abtastete, der erneut dick geschwollen war, zuckte sie zusammen.
»Ihr braucht wieder ein Maultier oder einen Esel.«
»Ja«, erwiderte sie einsilbig und er fürchtete plötzlich, sie könnte sich wieder in das Schweigen zurückziehen, das während der ersten Tage zwischen ihnen geherrscht hatte.
Er schob einige Äste in die Glut. Schließlich fragte er herausfordernd: »Gestern, vor der Hütte des Köhlers … Warum seid Ihr mit dem Säugling auf dem Arm herausgekommen?«
Sie ließ den Stoffstreifen, den sie in der Hand hielt, sinken und schaute ihn überrascht an. »Oh … Ich habe es nicht für Euch getan.«
»Das habe ich auch nicht erwartet.«
»Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich wusste nur, dass ich etwas tun musste, sonst würden die Soldaten in die Hütte kommen. Nachdem der eine von ihnen Euch erkannt hatte …«
»Ihr habt sie tatsächlich getäuscht. Sie haben mich für den Köhler gehalten und Euch für seine Frau.« Er sah angelegentlich dabei zu, wie einige Zweige knackend in dem niedrigen Feuer zersprangen und winzige Funken aufstoben. »Aber wie um alles in der Welt habt Ihr es fertig gebracht, dass der Säugling an Eurer Brust gesaugt hat?«
»Ich … ich hatte den Honigtopf neben mir stehen. Ich hatte das Kind ja damit gefüttert. Ich habe mir ein wenig davon auf die Brust geschmiert …«
»So war das.« Ein Lächeln zuckte um Rogers Mund und zu seinem Erstaunen erwiderte sie es. Es
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