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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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nicht recht zu bemerken, was um sie herum geschah. Wenn er ihr nicht über ein vereistes Stück hinweggeholfen hätte, wäre sie gestürzt.
    In der verräucherten Stube führte Roger Donata zu einem Schemel, wo sie sich still niedersetzte. Einige schmutzige Kinder krochen in den Binsen herum, die den Boden bedeckten. Eine füllige Frau, die kräftige rote Arme hatte, stand über eine hölzerne Waschschüssel gebeugt und wusch Stoffstreifen aus. Von einem breiten Bett an der rückwärtigen Wand des Raums erklang ein rasselndes Stöhnen. Ein Mann kauerte auf der Kante. Als Roger zusammen mit dem Bauern zu ihm trat, blickte er auf. Die Ähnlichkeit mit seinem Sohn war unverkennbar. Er hatte die gleiche markante Nase und die gleichen tief liegenden Augen, nur waren seine blutunterlaufen und sein Gesicht war hagerer und faltiger. Eine grobe Decke, unter der der rechte Gelenkknochen unnatürlich hervorstach, hing um seinen mageren Rücken.
    »Rühr mich nicht an!«, keifte der Alte.
    »Vater …«, versuchte der Bauer, ihn zu beruhigen.
    »Rühr mich nicht noch einmal an! Du hast mich fast umgebracht.«
    »Vater … Der Mann hier sagt, dass er ein Medicus ist.« Der Sohn deutete auf Roger. Der alte Mann warf beiden einen wütenden Blick zu und stieß ein verächtliches, stöhnendes Schnauben aus.
    »Falls Ihr Eure Schmerzen noch länger ertragen wollt, dann tut es«, sagte Roger. »Aber falls Ihr Euch dazu entschließt, sie loszuwerden – ich kann den Arm auf weniger schmerzhafte Weise einrenken als Euer Sohn. Allerdings solltet Ihr Euch sofort entscheiden, denn ich will endlich weiterziehen.«
    Als der Alte nicht reagierte, drehte Roger sich um und ging zur Tür.
    »Wartet!«, ließ sich die krächzende Stimme vernehmen. »Was tut Ihr, damit es weniger schmerzhaft ist?«
    »Ich werde Euch Wein mit ein wenig Mohnsaft darin geben.«
    »Wein …«, murmelte der alte Mann gierig.
    Die Miene seines Sohnes spiegelte Erleichterung. »Bring etwas von dem Roten«, sagte er zu seiner Frau. Sie machte sich in einer Ecke des Raumes zu schaffen.
    Der Wein, den sie Roger kurz darauf in einem Holzbecher reichte, roch säuerlich. Er gab ein wenig von dem Mohnsaft hinein, den er in seinem Bündel verwahrte, und erinnerte sich flüchtig an die Reben, die in seinem Garten wuchsen und die er im Herbst kurz vor der Reife zurückgelassen hatte. Tiefrot und voll hatten sie zwischen den Blättern gehangen. Ein besseres Getränk als diesen Essig ergaben sie allemal … Doch der Vater des Bauern schlürfte die Flüssigkeit wohlig, während sich die Frau und die Kinder um das Bett versammelten.
    Als der Wein und der Mohn ihre Wirkung taten, befahl Roger dem Alten, sich bäuchlings auf das Bett zu legen. Er zog die Decke von den knochigen Schultern und tastete das Gelenk vorsichtig ab, ehe er den Bauern und die Frau anwies, wie sie den Alten festhalten sollten. Die Kinder blieben in einiger Entfernung stehen und verfolgten das Geschehen mit ängstlicher Faszination. Die Schulter einzurenken war nicht schwierig. Roger musste nur kräftig an dem gestreckten Arm ziehen, bis der Knochen, unter einem gellenden Schrei des Verletzten, wieder in das Gelenk rutschte.
    »So«, Roger richtete sich auf. »Ihr solltet erst einmal vorsichtig mit Eurer Schulter umgehen, aber Ihr könnt sie wieder gebrauchen.«
    Der alte Mann stöhnte und bewegte zaghaft den Arm, als traute er den Worten nicht recht. Die Kinder zerstreuten sich. Roger bückte sich nach seinem Bündel. Als er sich der Stube zuwandte, sah er, dass der Schemel, auf dem Donata gewartet hatte, leer war.
    In Gedanken verwünschte er sich. Er hätte wissen müssen, dass sie das, was der Bauer über die Beginen berichtet hatte, in Panik versetzen würde. Vorhin, als die Bäuerin den Wein gebracht hatte, hatte Donata noch still dagesessen. Sie konnte noch nicht weit gekommen sein.
    »Habt Ihr gesehen, wohin meine Frau gegangen ist?«, fragte er die Bäuerin. Sie schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Oh, Eure Frau wird Euch doch nicht davongelaufen sein?«, ihr Mann stieß ein Kichern aus.
    Hastig streifte Roger sich sein Bündel um und eilte zur Tür. Aber die Stimme des Bauern hielt ihn zurück: »He, wollt Ihr etwa auf Euren Lohn verzichten? Und was ist mit dem Brot und dem Speck?«
    Roger kehrte um. Die Bäuerin reichte ihm die Nahrung. Er schob sie in sein Bündel und wartete ungeduldig, während ihm der Mann gemächlich die Münzen in die Hand zählte. Wieder glaubte Roger einen Funken von Misstrauen in

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