Die Buchmalerin
Gruppe getreten. »Berengar, warum lässt du es den Jungen nicht versuchen?«, sagte er ruhig.
Der Vorsteher der Schreibstube seufzte wieder und hob die Schultern, als ergäbe er sich in sein Schicksal. »Nun gut, Junge. Ein Versuch kann nicht schaden.«
Als die Männer und Donata auf den Hof vor dem Gästehaus traten, war die eine Hälfte des Himmels tiefblau. Über die andere Hälfte jagten, getrieben vom Wind, der die kahlen Bäume peitschte und die Schindeln und Dachpfannen der Gebäude zum Klappern brachte, dicke dunkelgraue Wolken. Das Sonnenlicht war so grell, dass Donata die Augen zusammenkniff. Sie lief in einigem Abstand hinter den Männern her, quer über den Hof, vorbei an steinernen und aus Fachwerk errichteten Gebäuden, die sauber und gut erhalten wirkten. Die dunklen Wolken bringen Schnee, dachte sie.
Die Schreiber tuschelten miteinander. Der Rothaarige drehte sich zu ihr um und bedachte sie mit einem spöttischen und herausfordernden Blick. Eben hatte sie sich noch gefragt, ob es klug gewesen war, die Aufmerksamkeit und den Unwillen dieser Männer auf sich zu ziehen. Aber nun, da das Wetter wieder umschlagen und es bald schneien würde, wünschte sie sich nichts mehr, als die nächste Zeit an einem warmen Ort zu verbringen.
Als sie an einem Gebäude anlangten, aus dessen Fensteröffnungen im Untergeschoss der Geruch von frisch gebackenem Brot drang – die Küche, vermutete Donata; in vielen Klöstern befand sich die Schreibstube über oder nahe bei der Küche, damit es die Schreiber im Winter einigermaßen warm hatten und ihre Finger gelenkig blieben –, öffnete Berengar eine Tür. Während sie den Männern über eine enge, gewundene Holztreppe hinauf in das obere Stockwerk folgte, klopfte Donatas Herz rascher.
Das Skriptorium war ein langer, schmaler Raum. Vor den kleinen, mit Rundbogen versehenen Fensteröffnungen, die gegen die Winterkälte mit Ölhaut verschlossen waren, standen sechs Schreibpulte. Auf den meisten befanden sich Fläschchen, die Tinte enthielten, und lagen, ordentlich aufgereiht, Federn und kleine Messer, die zum Beschneiden des Schreibgeräts gebraucht wurden. Farben oder bemalte Buchseiten konnte Donata nirgends entdecken – weder auf den Schreibpulten noch auf dem breiten Holztisch am Ende des Raums. Enttäuschung stieg in ihr auf. Vielleicht wurde in diesem Skriptorium nicht gemalt und die Mönche gaben die beschriebenen Buchseiten in andere Klöster. Oder sie beschäftigten auswärtige Buchmaler.
»Setzt euch an die Pulte«, sagte Berengar und ging auf den Tisch am anderen Ende des Raums zu.
Die Schreiber suchten sich ihre Plätze. Auch Donata ließ sich an einem der Pulte, in der Nähe der Tür, nieder.
Der Mönch hob die Stimme. »Ich möchte, dass ihr den 23. Psalm niederschreibt. In karolingischer Schrift. Denn der Psalter ist, auf Wunsch des Auftraggebers, in dieser alten, nicht mehr sehr gebräuchlichen Schrift gehalten.« Nach diesen Worten legte er Pergamentseiten vor jeden der Schreiber; fehlerhafte Stücke mit Flecken und Unregelmäßigkeiten in der Farbgebung, denn gute Stücke wären viel zu kostbar gewesen, um sie für eine Übung zu verwenden.
Donata nahm die grau gesprenkelte Feder, die auf dem Schreibpult lag, und fuhr prüfend mit dem Finger über das abgeschrägte Ende. Es musste nicht beschnitten werden. Erst als sie die Feder in die Tinte tauchte, durchfuhr sie die Erkenntnis, dass sie Verbotenes tat. Seit sie das Benediktinerinnenkloster verlassen hatte, hatte sie keinen heiligen Text mehr geschrieben. Sie hielt inne und fragte sich, ob ihr die Hand wie beim Malen so nun auch beim Schreiben den Dienst verweigern würde.
Voller Furcht betrachtete sie ihre Hand. Als sie wieder aufschaute, bemerkte sie, dass die anderen Schreiber bereits mit der Arbeit begonnen hatten. Berengar saß im rückwärtigen Teil der Schreibstube, ein wenig in sich zusammengesunken, auf einem Schemel. Sein Gesicht wirkte immer noch müde, hatte nun aber einen nach innen gerichteten Ausdruck. Doch unvermittelt, als habe der Mönch gespürt, dass Donatas Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, erwachte er aus seiner Versunkenheit und blickte zu ihr hin.
Hastig beugte sich Donata über das Pult. Sie musste mit dem Schreiben beginnen. Sie hatte keine andere Wahl. Während sie die Feder zu dem Pergament führte, zitterte ihre Hand. Als sie den Schaft auf dem geglätteten Stück Tierhaut absetzte, fürchtete sie, dass ihre Hand sich weigern würde, ihrem Willen zu gehorchen,
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