Die Buchmalerin
Endlich hatte sich der Gegner aus der Deckung hervorgewagt.
D er Durst weckte Donata auf. Verwirrt nahm sie wahr, dass sie auf einem schwankenden, weichen Untergrund lag, der nach Schafen roch. Ihr war heiß, Schweiß rann an ihrem Körper hinab und ein pochender, unerträglicher Schmerz zog durch ihr rechtes Bein. Eine undurchdringliche Dunkelheit umgab sie. Wo befand sie sich? Panik stieg in ihr auf. Doch als sie den Kopf hob und den Geruch fauligen Wassers einatmete, erinnerte sie sich wieder, dass sie im Bauch eines Schiffes auf Wollsäcken lag. Widerwillig gab ihr Kopf andere Erinnerungen preis. Ein brennender Heuboden … Männer, die sie festhielten und auf sie einschlugen. Ihr Hemd war zerrissen. Sie rannte um ihr Leben. Dunkle Wege entlang, dann durch einen von Fackeln erhellten Klosterhof.
Ein Mann trat ihr in den Weg. Ein Mann, über dessen Kopf sich ein nachtblaues Stück Himmel befand. Nein, er war ihr nicht in den Weg getreten. Er hatte einen Karren gegen den Schreiber gestoßen. Oder bildete sie sich das nur ein und es hatte kein Mann am Tor gestanden? Der kleine Hafen am Ufer der Mosel … In einem Boot war sie den Fluss hinabgetrieben. Obwohl sie ihren zweiten Kittel über den zerrissenen gezogen, ihr Kleid um die Brust geknotet und ihren Mantel eng um sich geschlungen hatte – ihr Bündel hatte den Kampf unbeschadet überstanden –, war die Kälte auf dem Wasser kaum auszuhalten gewesen.
Und dann? Donata presste den Unterarm gegen die Stirn. Sie musste eingeschlafen sein. Denn als die Männer auf dem Frachtkahn das Boot bemerkten und es mit Haken an ihr Schiff heranzogen, hatte die Morgendämmerung bereits eingesetzt. Die Schiffer wollten das Boot. Der Knabe darin war ihnen gleichgültig. Nachdem Donata ihnen ihr restliches Geld gegeben hatte, fragten sie nicht, wie sie zu dem Boot gekommen sei, sondern waren einverstanden, sie bis Köln mitfahren zu lassen.
Donata tastete nach ihrer tönernen Flasche und fand sie zwischen den Säcken. Gierig trank sie das kalte, brackig schmeckende Wasser, bis das Gefäß leer war. Trotzdem ließ ihr Durst nur für Augenblicke nach. Durch die Ritzen zwischen den Planken drang kein Licht. Auf dem Deck waren keine Schritte zu hören. Die meisten der Schiffer und Knechte schliefen wahrscheinlich. Sie glaubte, sich zu erinnern, dass sie am Morgen neben dem Zelt, das den Männern auf Deck als Unterkunft diente, einen großen Wasserbottich gesehen hatte. Dort konnte sie ihre Flasche füllen. Aber sie war zu erschöpft, um aufzustehen.
Die schaukelnde Bewegung des Schiffes wiegte sie wieder in den Schlaf. Im Traum sah sie eine fahle Sonne an einem von weißlichem Dunst überzogenen Himmel. Ihr Gaumen war ausgedörrt und ihre Zunge lag angeschwollen in ihrem Mund. Der Lehmboden im Burghof war so heiß, dass es schmerzte, die Füße darauf zu setzen. Sie kauerte im Schatten auf einem verdorrten Rasenstück und fühlte die Hitze im Körper des Säuglings, der auf ihren nackten Knien lag. Seine Augen waren eingefallen, er atmete nur schwach. Sie wünschte sich, dass er wieder lächelte, so wie damals, als ihre Tante ihm noch Milch hatte geben können, und riss einen vertrockneten Grashalm aus dem Boden. Sanft kitzelte sie ihn an der Wange. Doch der Grashalm färbte sich rot. Der Säugling glitt von ihren Knien und wand sich blutüberströmt auf dem Boden. Donata erwachte von ihrem eigenen Schreien. Sie wälzte sich auf den Säcken herum, dämmerte wieder ein.
Die nächsten Tage verbrachte sie meist schlafend. Wenn der Durst übermächtig wurde, kroch sie an Deck, wobei immer wieder der unerträgliche Schmerz ihr rechtes Bein durchzuckte, und füllte ihre Wasserflasche. Trotz ihres Fiebers und trotz der Schmerzen war sie darauf bedacht, dass keiner der Schiffer oder Knechte sie sonderlich beachtete. In den kurzen Zeitspannen, die sie sich im Freien aufhielt, bemerkte sie, dass sich die Landschaft und auch der Fluss selbst veränderten. Anfangs war er gewunden und schmal. Berge standen am linken Ufer, wo sich unter dem Schnee Terrassen und die Umrisse von Weinstöcken abzeichneten. Später, als Donata sich erneut nach oben schleppte und ihre Flasche in den Wasserbottich tauchte – sie wusste nicht, ob seit dem letzten Mal, als sie dies getan hatte, eine Nacht vergangen war oder nur wenige Stunden –, war der Fluss um das Drei- bis Vierfache seiner bisherigen Breite angewachsen. Steile, schroffe Berge, die viel höher waren als die Weinberge, erhoben sich auf beiden
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