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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Uferseiten. Als Donata sich mühsam von dem Bottich aufrichtete und über die niedrige Reling des Schiffes blickte, sah sie, dass das Wasser des Flusses schiefergrau war. Dann und wann tauchte zwischen den lang gezogenen Wellen etwas Weißes auf – Eis, das vom Ufer losgebrochen war.
    Die Breite des Stroms ängstigte Donata. Sie wusste nicht, ob der Fluss, an dessen Ufern die Weinberge gestanden hatten, und dieser mit den schroffen Bergen zu beiden Seiten ein und derselbe Fluss war oder nicht. Einen der Männer zu fragen, die Pfeife rauchten und vor dem mit Fellen bedeckten Zelt saßen, wagte sie nicht. In ihrem fiebernden Kopf stieg der Gedanke auf, dass sich der Fluss bald ins Meer ergießen und das Schiff auf dem Ozean dahintreiben würde. Diese Vorstellung verfolgte sie von nun an in ihren Träumen.
    Dann waren die Berge verschwunden und einer Ebene gewichen. Die tief hängenden grauen Wolken und der Dunst, der über dem Fluss waberte, schienen ineinander überzugehen.
    Als Donata das nächste Mal erwachte, hörte sie dröhnende Schritte auf den Planken und ein dumpfes Geräusch, als ob etwas Schweres über das Deck gerollt würde. Sie lag still und versuchte zu verstehen, was sich auf dem Schiffsdeck abspielte. Noch etwas hatte sich verändert, das sie beunruhigte und das sie nicht einzuordnen vermochte. Dann begriff sie, dass das Schwanken des Schiffes nachgelassen hatte.
    Einige der Schiffer und Knechte stiegen die Leiter hinab, die in den niedrigen Schiffsbauch führte, und machten sich an Stoffballen zu schaffen. Ein Mann rief Donata zu: »Junge, die Reise ist zu Ende. Verschwinde, wenn du nicht als Futter für die Ratten hier unten bleiben willst.« Die anderen lachten.
    Donata setzte sich auf. Das schweißgetränkte Hemd klebte ihr am Rücken und das dämmrige Innere des Schiffes begann, sich um sie zu drehen. Schließlich gelang es ihr aufzustehen. Sie tastete sich durch den schmalen Gang zwischen den Waren, wobei sie sich immer wieder an Säcken und Ballen abstützte. Bei jedem Schritt fuhr ein stechender Schmerz durch ihr Bein, als würde ein glühender Nagel hineingetrieben. Die Leiter zum Deck hinaufzukommen war mühsam, noch mühsamer als zuvor, wenn sie sich an Deck gezogen hatte, um ihre Flasche zu füllen. Die Sprossen verschwammen vor ihren Augen. Einmal griff sie ins Leere und konnte sich gerade noch halten, ohne abzurutschen.
    Oben an Deck angelangt, drückte sich Donata an einigen Männern vorbei, die Fässer zu einem Steg rollten, der ans Ufer führte. Da es sie schwindelte, lehnte sie sich gegen einen Haufen Häute, die neben dem Zelt gestapelt waren, und blickte um sich. Rechter Hand strömte der Fluss, dessen Wasser die gleiche dunkelgraue Farbe hatte wie die Wolken, die träge über das Land trieben. Auf der linken Seite erstreckte sich ein hoher Erdwall, der mit einem hölzernen Wehrgang gesichert war. Benommen erinnerte sich Donata daran, dass sie irgendwo einmal gehört hatte, Köln baue seit Jahrzehnten an einem gewaltigen Befestigungsring um die Stadt. An manchen Stellen sollten auch schon Steinmauern die Erdwälle ersetzen. Als das Rumpeln der Fässer und das Schreien der Schiffer und Knechte, die sich Befehle und Warnungen zuriefen, für einen Augenblick verstummt waren, nahm Donata den Lärm der Stadt wahr. Ein dumpfes, an- und abschwellendes Brausen, wie Wasser, das gegen ein Wehr trifft.
    Mit unsicheren Schritten ging sie weiter. Sie wartete einen Moment ab, in dem die Männer keines der Fässer über den Steg rollten, und humpelte ihn dann hinunter. Beim Anblick des Wassers, das unter ihr dahinfloss, wurde ihr wieder schwindelig, aber sie schaffte es, ans Ufer zu gelangen. Noch einige andere Kähne wurden in dem Hafenbecken entladen. Donata folgte einem Karren, auf dem sich Fässer türmten, bis zu einem Tor, das in den Erdwall gebaut war. Als sie die Soldaten neben dem Tor bemerkte, fragte sie sich voller Angst, ob die Männer sie passieren ließen. Doch die Soldaten machten keinerlei Anstalten, sie oder die Knechte, die den Karren hinter sich herzogen, aufzuhalten.
    Hinter dem Stadttor führte die von schmutzigem, zertretenem Schnee und Unrat bedeckte Gasse zwischen Häusern einen kleinen Hügel hinauf. Donata hinkte an einer großen Kirche vorbei, deren Chor anmutig war und die Form eines Kleeblatts hatte. Der Turm einer weiteren Kirche überragte, einige Straßenzüge von Donata entfernt, die Häuser. Er war sehr groß, quadratisch gebaut und mit einer Vielzahl von kleinen

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